Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Tablet/Notebook eines Betriebsratsmitglieds zwecks Teilnahme an Videokonferenz. Vorrang der Videokonferenz gegenüber solcher per Telefon. Zumutbarkeit für Arbeitgeber bei Anschaffung von Kommunikationsmitteln
Leitsatz (amtlich)
Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber zur Ermöglichung der Teilnahme seiner Mitglieder an Betriebsratssitzungen mittels Videokonferenz die Überlassung von je einem Tablet oder Notebook je Betriebsratsmitglied verlangen, sofern die Voraussetzungen des § 30 Absatz 2 BetrVG vorliegen
Normenkette
BetrVG § 40 Abs. 2, § 30 Abs. 2, § 37 Abs. 2; ZPO § 92 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Wiesbaden (Entscheidung vom 25.08.2021; Aktenzeichen 11 BV 4/21) |
Tenor
Die Beschwerde des Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 25. August 2021 – 11 BV 4/21 – wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, den Arbeitgeber zu verpflichten, dem Betriebsrat zur Abhaltung von Betriebsratssitzungen in Form von Videokonferenzen 3 Tablets oder Laptops zur Verfügung zu stellen.
Die Beteiligte zu 2 (Arbeitgeber) ist ein bundesweit tätiges Unternehmen im Textil-einzelhandel mit 70 Filialen in Deutschland und derzeit etwa 3500 Mitarbeitern. Antragsteller ist der in der Filiale in A gebildete, aus 3 Mitgliedern bestehende, Betriebsrat. Das Betriebsratsbüro ist mit einem stationären Personal Computer ausgestattet.
In seiner Sitzung am 28. April 2021 beschloss der Betriebsrat die Einleitung eines Beschlussverfahrens, um die Bereitstellung von 3 Tablets oder Laptops zu erreichen.
In seiner Sitzung vom 16. Juli 2021 gab sich der Betriebsrat eine Geschäftsordnung; insoweit wird auf Bl. 292-294 der Akte Bezug genommen.
Mit einem am 29. April 2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag hat der Betriebsrat seinen Anspruch gerichtlich geltend gemacht.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. (Bl. 342-344 der Akte) verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben; wegen der Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss unter II. (Bl. 344-347R der Akte) Bezug genommen.
Gegen den ihm am 1. September 2021 zugestellten Beschluss hat der Arbeitgeber am 29. September 2021 Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 1. Dezember 2021 am 1. Dezember 2021 begründet.
Der Arbeitgeber rügt, der Antrag sei bereits unzulässig. Das Arbeitsgericht habe rechtsfehlerhaft ausgeführt, ein erneuter Beschluss zur Einleitung des Verfahrens sei nicht erforderlich, da sich der Streitgegenstand gegenüber dem auf § 129 BetrVG gestützten, vorangegangenen Beschlussverfahren, nicht wesentlich geändert habe. Der Betriebsrat habe beide Verfahren vor dem Hintergrund der Corona Pandemie eingeleitet. Die Überlassung habe sich zunächst auf § 129 BetrVG, der keine weiteren Voraussetzungen für die Durchführung einer virtuellen Betriebsratssitzung hatte, gestützt. Nunmehr berufe sich der Betriebsrat auf § 30 Abs. 2 BetrVG und damit auf einen neuen Sachverhalt. Jedenfalls sei der Antrag unbegründet. Der Betriebsrat hätte eine neue Erforderlichkeitsprüfung vornehmen müssen. Hier fehle es deshalb an der Erforderlichkeit, da § 30 Abs. 2 BetrVG keine Anspruchsgrundlage darstelle. Die dauerhafte Überlassung von Laptops wäre unverhältnismäßig. Es bestehe kein Vorrang der Video- vor der Telefonkonferenz. Die Zurverfügungstellung von Tablets oder Laptops führe für den Arbeitgeber zu unverhältnismäßigen Kosten. Die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BetrVG lägen nicht vor. Dessen Nr. 2 sehe einen Vorrang der Präsenzsitzungen vor. Die Nrn. 2 und 3 regelten, unter welchen Voraussetzungen eine virtuelle Betriebsratssitzung durchgeführt werden könne. I. Nr. 1 Geschäftsordnung enthalte keine konkretisierenden Voraussetzungen, unter welchen Bedingungen eine (teil-) virtuelle Sitzung stattfinden könne. Die Geschäftsordnung enthalte keine Voraussetzungen, die den Vorrang der Präsenzsitzungen sichern. Ein sachlicher Grund im Sinne von Nr. 2 Abs. 2 GO genüge nicht dem Bestimmtheitserfordernis. Auch bei behördlich angeordneter Quarantäne oder der Erkrankung eines Betriebsratsmitglieds sei eine virtuelle Sitzung nicht erforderlich, da Ersatzmitglieder nachrückten. Das Kriterium der erhöhten Inzidenzwerte sei unbestimmt. Nach I. Nr. 5 GO stelle es völlig ins Ermessen der einzelnen Betriebsratsmitglieder, ob sie präsent oder virtuell an einer Sitzung teilnehmen wollen. Es stelle eine unzulässige Begünstigung der Betriebsratsmitglieder nach § 78 S. 2 BetrVG dar, wenn diese frei nach eigener Einschätzung entscheiden dürften, an einzelnen Tagen zu Hause zu bleiben und nicht in die Filiale zu kommen.
Mit Schriftsatz vom 7. März 2022 trägt der Arbeitgeber ergänzend wie folgt vor: Der Betriebsrat habe inzwischen ein neues, größeres Büro bezogen. Für die Ausstattung aller Betriebsratsmitglieder mit einem Tablet oder Laptop ent...