Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit der Entsendung eines Ersatzbetriebsratsmitgliedes zu Grundsatzschulung. Nachträgliche Betrachtung eines Beschlusses zur Entsendung zur Grundschulung. Fünfmonatiger Ausfall des Betriebsratsmitgliedes als Grund für Ersatzmitglied-Schulung. Erforderlichkeit von Schulungsmaßnahmen für Ersatzmitglieder des Betriebsrats
Leitsatz (amtlich)
Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (19. September 2001 – 7 ABR 32/00) die Entsendung eines Ersatzmitglieds des Betriebsrats zu einer Grundschulung nur ausnahmsweise möglich. Die mehr als fünfmonatige Ausfallzeit des einzigen Betriebsratsmitglieds eines Dreiergremiums, das aus einer vorangegangenen Amtszeit über Erfahrungen im Amt verfügte, lässt die vom Betriebsrat getroffene Prognose, das nachrückende Ersatzmitglied zu einer Grundlagenschulung BR-1 zu entsenden, jedoch als zutreffend erscheinen.
Normenkette
BetrVG § 40 Abs. 1, § 37 Abs. 6 S. 1; ArbGG § 87 Abs. 1; ZPO § 92 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 06.05.2021; Aktenzeichen 8 BV 16/20) |
Tenor
Auf die Beschwerden des Antragstellers und des Beteiligten zu 3 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 6. Mai 2021 – 8 BV 16/20 - abgeändert:
Der Beteiligten zu 2 wird aufgegeben, den Antragsteller und den Beteiligten zu 3 von den Kosten der Teilnahme an dem Seminar „Aller Anfang ist … gar nicht schwer – Betriebsverfassung: Einführung und Überblick (BR I), Veranstaltungsnummer … – …“, veranstaltet von A in der Zeit vom 31.8.2020 bis 4.9.2020 in B in Höhe von 995,00 EUR (in Worten: Neunhundertfünfundneunzig und 0/100 Euro) netto freizustellen.
Der Beteiligten zu 2 wird aufgegeben, den Antragsteller und den Beteiligten zu 3 von den Kosten des Tagungsarrangements sowie der Tagungspauschale anlässlich des Seminars „Aller Anfang ist … gar nicht schwer – Betriebsverfassung: Einführung und Überblick (BR I), Veranstaltungsnummer … – …“, veranstaltet von A in der Zeit vom 31.8.2020 bis 4.9.2020 in B in Höhe von 578,00 EUR (in Worten: Fünfhundertachtundsiebzig und 0/100 Euro) netto freizustellen.
Der Beteiligten zu 2 wird aufgegeben, dem Beteiligten zu 3 die ihm für seine Teilnahme an dem Seminar „Aller Anfang ist … gar nicht schwer – Betriebsverfassung: Einführung und Überblick (BR I), Veranstaltungsnummer … – …“ entstandenen Reisekosten in Höhe von 94,30 EUR (in Worten: Vierundneunzig und 30/100 Euro) auf dessen Privatkonto mit der IBAN DE ... zu erstatten.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für die Teilnahme eines Ersatzmitglieds des Betriebsrats an einer Betriebsratsschulung.
Antragsteller ist der im Unternehmen des Arbeitgebers (Beteiligte zu 2), das sich mit dem Direktvertrieb von Tiefkühllebensmitteln befasst und ca. 35 Arbeitnehmer beschäftigt, gebildete, aus 3 Mitgliedern bestehende Betriebsrat. Der Beteiligte zu 3 ist das erste Ersatzmitglied des Betriebsrats.
Bei der Betriebsratswahl vom 28. Mai 2018 wurden die Betriebsratsmitglieder C, D und E gewählt; insoweit wird auf die Wahlniederschrift der Betriebsratswahl, Bl. 44, 45 der Akte Bezug genommen. Betriebsratsvorsitzender war zunächst Herr C. Dieser war vom 27. April 2020 bis 31. August 2020 aufgrund einer Schulteroperation sowie anschließender Genesungszeit arbeitsunfähig krank. Ab 1. September 2020 bis 5. Oktober 2020 nahm er seinen Jahresurlaub. Trotz bestehender Arbeitsunfähigkeit nahm Herr C am 20. Mai 2020 und am 17. Juni 2020 an Betriebsratssitzungen teil.
In seiner Sitzung vom 17. Juni 2020, zu der unter dem 15. Juni 2020 eingeladen worden war (Bl. 181 der Akte), beschloss der Betriebsrat den Wechsel im Betriebsratsvorsitz von Herrn C an Herrn E sowie die Entsendung des Beteiligten zu 3 zu dem Seminar „BR 1“ in der Zeit vom 31. August bis 4. September 2020; wegen des Inhalts der Beschlussfassung wird auf das Protokoll der Betriebsratssitzung vom 17. Juni 2020, Bl. 182 der Akte, wegen des Gegenstands der Schulungsveranstaltung wird auf Bl. 7, 8 der Akte verwiesen. In seiner Sitzung vom 26. Juni 2020 beschloss der Betriebsrat vorsorglich nochmals die Entsendung des Beteiligten zu 3 zu der genannten Schulungsveranstaltung; siehe Bl. 185 der Akte. Mit E-Mail vom 20. August 2020 (Bl. 54, 55 der Akte) teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat mit, dass er mit der Schulungsteilnahme nicht einverstanden ist. Gleichwohl nahm der Beteiligte zu 3 an dem Seminar teil.
Mit Schreiben vom 24. September 2020 machte der Schulungsveranstalter gegenüber dem Beteiligten zu 3 die Seminargebühren i.H.v. 995 € geltend; siehe Bl. 9 der Akte. Unter dem 8. Juli 2021 verlangte der Schulungsveranstalter vom Betriebsrat die Begleichung der zu Gunsten des Beteiligten zu 3 verauslagten Kosten für Übernachtung und Verpflegung i.H.v. 578 € (Bl. 192 der Akte).
Mit seinem am 11. November 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz hat der Betriebsrat die Freistellung von den Seminargebühren und Übernachtungs- und Verpflegungskosten verla...