Entscheidungsstichwort (Thema)

Sicherstellung der Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung in sämtlichen Bewerbungsgesprächen. Anforderung an die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor Entscheidung über die Vergabe einer Stelle

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Schwerbehindertenvertretung hat das Recht zur Teilnahme an sämtlichen Bewerbungsgesprächen, wenn sich ein schwerbehinderter Mensch/gleichgestellt behinderter Mensch innerhalb der Bewerbungsfrist bewirbt. Dies steht in der Regel erst nach Ablauf der Ausschreibungsfrist fest, da diese bis zum letzten Tag ausgenutzt werden kann. Die genaue Art und Weise zur Sicherstellung der Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung an sämtlichen Bewerbungsgesprächen bei Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen/gleichgestellt behinderten Menschen bleibt der Arbeitgeberin überlassen. Dieser Verpflichtung kann sich die Arbeitgeberin nicht dadurch entziehen, dass sie Vorstellungsgespräche "vorzieht", ohne dass hieran die Schwerbehindertenvertretung teilnimmt. Damit nimmt sie der Schwerbehindertenvertretung die Vergleichsmöglichkeiten, die erforderlich sind, damit die Schwerbehindertenvertretung ihren Auftrag erfüllen kann, für Chancengerechtigkeit der schwerbehinderten Bewerber zu sorgen.

2. Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, bei der Bewerbung auch eines schwerbehinderten Menschen/gleichgestellt behinderten Menschen die Schwerbehindertenvertretung vor einer Entscheidung für eine Bewerberin/einen Bewerber anzuhören. Die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor der endgültigen Auswahlentscheidung und Verlautbarung dieser Auswahlentscheidung gegenüber dem Konkurrenten entspricht dem Sinn und Zweck der Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung am Bewerbungsverfahren.

 

Normenkette

SGB IX § 95 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 11.06.2015; Aktenzeichen 19 BV 602/14)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1. wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 11. Juni 2015 - 19 BV 602/14 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Beteiligte zu 1. bei Besetzung eines zu besetzenden Arbeitsplatzes das Recht hat, an sämtlichen Vorstellungsgesprächen teilzunehmen, solange sich ein schwerbehinderter Mensch/gleichgestellt behinderter Mensch innerhalb der Bewerbungsfrist bewirbt und dieser mit der Teilnahme der Beteiligten zu 1. an dem mit ihm zu führenden Gespräch einverstanden ist.

Es wird festgestellt, dass die Beteiligte zu 2. verpflichtet ist, die Beteiligte zu 1. vor einer beabsichtigten Entscheidung für eine Bewerberin/einen Bewerber bei der Bewerbung auch eines schwerbehinderten Menschen/gleichgestellt behinderten Menschen anzuhören.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird für beide Beteiligte nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung an Vorstellungsgesprächen und über Informationen im Zusammenhang mit der Bewerberauswahl.

Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin (nachfolgend Arbeitgeberin), Rechtsnachfolgerin der A AG, führt Betriebe in B, C und D. Im Betrieb in B sind mehrere hundert Arbeitnehmer beschäftigt, davon mehr als 50 schwerbehinderte Menschen oder gleichgestellt behinderte Menschen. Antragstellerin ist die Schwerbehindertenvertretung für den Betrieb B (nachfolgend Schwerbehindertenvertretung).

Zur Integration von Schwerbehinderten schlossen die Schwerbehindertenvertretung, die Arbeitgeberin und der Betriebsrat am 14. Dezember 2000 eine "Betriebsvereinbarung über die Integration von Schwerbehinderten" (Bl. 30 - 32 d.A.). Diese lautet auszugsweise wie folgt:

1. Personalplanung

...

1.2 Stellenausschreibungen

Schwerbehinderte werden bei der Besetzung von freien Arbeitsplätzen bei gleicher Qualifikation bevorzugt behandelt. Ein entsprechender Zusatz wird in die Stellenausschreibungen aufgenommen.

...

1.5 Neueinstellungen

Die Schwerbehindertenvertretung erhält zeitnah sämtliche Bewerbungsunterlagen aller schwerbehinderten Bewerber. Einsatzmöglichkeiten werden mit der Schwerbehindertenvertretung erörtert.

Zu besetzende interne Arbeitsplätze bei der Arbeitgeberin werden mit einer Frist von drei Wochen ausgeschrieben; eine Verkürzung der Ausschreibungsfrist ist nach Absprache mit dem Betriebsrat möglich. Bei Nichteingang von Bewerbungen wird die Ausschreibungsfrist im Einzelfall auch verlängert. Die Arbeitgeberin führt mit allen internen Bewerbern Gespräche, zum Teil auch bereits vor Ablauf der Ausschreibungsfrist. Sobald die Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen oder gleichgestellt behinderten Menschen einging, wurde der Schwerbehindertenvertretung bislang Gelegenheit gegeben, zumindest an dem mit diesem geführten Vorstellungsgespräch teilzunehmen. Streitig zwischen den Beteiligten ist, ob in der Vergangenheit für die Schwerbehindertenvertretung die Möglichkeit bestand, nach Eingang der Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen bzw. gleichgestellt behinderten Menschen an Vorstellungsgesprächen mit weiteren Stellenbewerbern teilzunehmen. Ei...

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