Entscheidungsstichwort (Thema)

Außerordentliche Kündigung

 

Leitsatz (amtlich)

1) Zu den Rechtsfolgen, die eintreten, wenn sich der kündigende Arbeitgeber schon bei der Anhörung des Betriebsrates auf den Vorwurf festlegt, der Arbeitnehmer habe eine bestimmte Straftat begangen,

2) Zur Darlegungslast des kündigenden Arbeitgebers gegenüber Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen, auf die sich der Arbeinehmer beruft.

3) Zur Verwertbarkeit der Aussage von „Zeugen vom Hörensagen”.

 

Leitsatz (redaktionell)

Hört der Arbeitgeber den Betriebsrat allein wegen einer Pflichtverletzung an, so kann er seine Kündigung im Kündigungsschutzprozess nicht mehr darauf stützen, dass der Arbeitnehmer einer solchen Pflichtverletzung lediglich verdächtig sei.

 

Normenkette

BetrVG § 102; BGB § 626; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

ArbG Gießen (Urteil vom 06.02.2001; Aktenzeichen 4 Ca 586/01)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 06. Februar 2001 – AZ.: 4 Ca 568/97 – wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit der fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung, die der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 10.11.1997 am 10.11.1997 erklärt hat (siehe Bl. 9 d.A.).

Der am 07.09.1941 geborene und als Sozialarbeiter ausgebildete Kläger ist seit dem 01. August 1990 bei dem beklagten Verein als Hausleiter einer Wohnstätte für erwachsene, geistig behinderte Menschen beschäftigt. Sein monatliches Bruttogehalt betrug zuletzt etwa DM 6.000,00. Der Beklagte beschäftigt etwa 200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung richtet sich das Arbeitsverhältnis nach den Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages für kommunale Arbeitgeber und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen, sowie nach den Richtlinien des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen. Wegen des Inhalts des Arbeitsvertrages im Einzelnen wird auf Bl. 6 – 8 d.A. Bezug genommen.

In der Wohnstätte des Beklagten, in der der Kläger bis zu seiner Freistellung ab 30.10.1997 (siehe Bl. 10 d.A.) tätig war, lebt die geistig behinderte Bewohnerin Frau … Am 29. Oktober 1997 (siehe Bl. 34 d.A.) informierte die Mitarbeiterin Frau … die Geschäftsleitung des Beklagten erstmals von einem Gespräch, um das die Behinderte Frau … gebeten haben soll. An diesem Gespräch nahmen neben Frau … (dabei handelt es sich um die direkte Vorgesetzte des Klägers). Frau … und Frau … teil. Folgende Gesprächsinhalte wurden der geschäftsführenden Vorsitzenden des Beklagten mitgeteilt:

„Zunächst erklärte Frau … sie habe sich mit dem Kläger am Sonntagabend, gegen 22.00 Uhr, im Wohnzimmer der Wohnstätte aufgehalten. Beide waren alleine im Wohnzimmer.

Der Kläger hatte Nachtbereitschaft. Er fragte …: „Und, was wollen wir jetzt machen? Wozu hast Du Lust?”. Frau … erklärte weiter, dass der Kläger sie angefasst habe. Auf die Frage von Frau …, wo oder wie er angefasst habe, zeigte Frau … auf Brust und Genitalbereich. Frau … fragte erneut, ob der Kläger dies wirklich gemacht habe. Frau … erwiderte daraufhin, er habe gefragt, ob sie Lust habe. Sie habe daraufhin gesagt, dass sie das nicht wolle und keine Lust habe. Der Kläger sei daraufhin wütend geworden und rausgegangen.

Bereits zuvor habe Frau … ein Gespräch mit Frau … geführt. Sie fragte Frau … wer sie angefasst habe. Daraufhin antwortete Frau … Auf die Frage, wo sie angefasst worden sei, zeigte sie auf Brust und Genitalbereich. Auf die Frage, seit wann dies passiert sei, meinte Frau … nach der Fahrt nach Erfurt. Es handelt sich hierbei um eine Freizeit, die im Sommer 1997 durchgeführt wurde. Frau … erklärte, es sei dreimal am Wochenende passiert Auf die Frage, wo es passiert sei, antwortete sie: „Im Wohnzimmer”. Frau … brachte zum Ausdruck, dass es ihr unangenehm ist, wenn der Kläger Nachtdienst hat. Sie habe Angst, in seiner Gegenwart davon zu sprechen. Frau … erwähnte immer wieder, dass der Kläger sie fragen würde: „Was machen wir zwei, ich habe Lust, hast Du auch Lust”. Frau … trug einen Jogginganzug/Hausanzug. Sie erklärte, der Kläger sei mit der Hand auch an das Unterhemd und darunter sowie mit der Hand in die Hose gegangen. Nachdem sie den Kläger abgewiesen habe, hätte er sie „Spielverderberin” genannt Frau … war während der Handlungsschilderungen sehr angespannt, ihre Augen wurden wässrig. Nachdem sie alles erzählt hatte, weinte sie.”

Inhalt und Ablauf dieses der Geschäftsleitung mitgeteilten Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig. Der Kläger bestreitet zum einen, dass Frau … diese Äußerungen überhaupt gemacht hat; konfrontiert mit den ihm gegenüber erhobenen Vorwürfen hat der Kläger des Weiteren in einem Gespräch am 30. Oktober 1997 die von Frau … angeblich behaupteten Vorgänge abgestritten. Er räumte allerdings ein, Frau … – wie auch andere Hausbewohnerinnen – zum Abbau akuter Stresssituationen (siehe Bl. 3 d.A.) am Hals und Rücken gekrault zu haben.

Der Beklagte kündigte sodann nach Anhörung des Betriebsr...

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