Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtigkeit einer vertraglichen Kündigungsfrist bei Verstoß gegen die gesetzliche Kündigungsfrist. Absolutheitsanspruch einer durch § 134 BGB ausgelösten Nichtigkeit. Treuwidrige Geltendmachung der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts
Leitsatz (amtlich)
Ist im Arbeitsvertrag eine Kündigungsfrist mit Kündigungstermin vereinbart, die aufgrund der Verlängerung der Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 BGB (inzwischen) potentiell ungünstiger für den Arbeitnehmer ist, als die gesetzliche Kündigungsfrist, führt dies zur Nichtigkeit der vertraglichen Regelung nach § 134 BGB (BAG 29.1.2015 - 2 AZR 280/14 - BAGE 150, 337).
Die Nichtigkeitsfolge nach § 134 BGB ist absolut und kann von allen am Rechtsgeschäft Beteiligten - in den Grenzen des § 242 BGB - geltend gemacht werden. Die Rechtssprechung, derzufolge sich der Verwender von AGBen nicht auf deren Unwirksamkeit nach §§ 307 ff BGB berufen kann, ist hier nicht (analog) anwendbar.
Leitsatz (redaktionell)
Die Geltendmachung der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts kann nur ausnahmsweise treuwidrig sein, wenn sich z.B. der Vertragspartner damit zu seinem vorherigen Verhalten in Widerspruch setzt. Eine Treuwidrigkeit kann sich aus dem Gesichtspunkt des "venire contra factum proprium" oder aus dem Verhalten des Vertragspartners Dritten gegenüber ergeben. Es ist dazu aber ein strenger Prüfungsmaßstab anzulegen.
Normenkette
BGB § 622 Abs. 1-2, §§ 134, 242, 307, 622 Abs. 5
Verfahrensgang
ArbG Darmstadt (Entscheidung vom 18.01.2022; Aktenzeichen 3 Ca 143/21) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 18. Januar 2022 – 3 Ca 143/21 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch um die Frage, ob die Kündigung des Beklagten vom 27. Mai 2021 ihr Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2021 oder zum 30. September 2021 aufgelöst hat.
Der Beklagte ist ein von Eltern geführter Verein, der eine Kinderbetreuungseinrichtung betreibt.
Die Klägerin war bei dem Beklagten seit dem 1. April 2015 mit einem monatlichen Bruttogehalt von 2700 € als Erzieherin beschäftigt. Der Beklagte sprach ihr mit Schreiben vom 27. Mai 2021 (Bl. 11 der Akte) eine ordentliche Kündigung zum nächst zulässigen Zeitpunkt aus, wobei in dem Schreiben ausgeführt wird, der nächst zulässige Zeitpunkt sei nach Berechnung des Beklagten der 31. Juli 2021.
Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens, ihrer Anträge, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird im Übrigen auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das Arbeitsgericht Darmstadt hat sowohl die ursprünglich erhobene Kündigungsschutzklage als auch den hilfsweise erhobenen allgemeinen Feststellungsantrag abgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass die Klägerin keinen Grund für die Unwirksamkeit der Kündigung vorgetragen und diese das Arbeitsverhältnis nicht erst zum 30. September 2021, sondern bereits zum 31. Juli 2021 aufgelöst habe. Dies ergebe sich daraus, dass die im Arbeitsvertrag vereinbarte Kündigungsfrist von sechs Wochen zum Quartalsende nach zutreffender Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in der Entscheidung vom 29. Januar 2015 (2 AZR 280/14) nicht günstiger sei, als die gesetzliche Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende, die deshalb vorliegend Anwendung finde. Es sei auch nicht ersichtlich, dass sich der Beklagte aufgrund der tatsächlichen Anwendung der vertraglichen Kündigungsfristen im Betrieb an diese gebunden habe, da der diesbezügliche Vortrag der Klägerin bereits unsubstantiiert sei und nicht nachvollziehbar sei, aus welchen Gründen dem Beklagten, der dem Vortrag der Klägerin entgegengetreten sei, verwehrt sein sollte, sich auf die gesetzlichen Kündigungsfristen zu berufen.
Wegen der Begründung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung und des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf die angegriffene Entscheidung verwiesen (Bl 65 ff d.A.).
Die Klägerin hat gegen das ihr am 20. Januar 2022 zugestellte Urteil am 15. Februar 2022 bei dem Hessischen Landesarbeitsgericht Berufung eingelegt und diese im gleichen Schriftsatz begründet.
Die Klägerin rügt, das Arbeitsgericht habe die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 29. Januar 2015 (2 AZR 280/14) in unzulässiger Weise schematisch auf den vorliegenden Fall angewandt. Aus der genannten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ergebe sich gerade, dass jeder Einzelfall gesondert betrachtet werden müsse. Das Arbeitsgericht habe insofern verkannt, dass in dem vom Bundesarbeitsgericht zu entscheidenden Fall der Arbeitnehmer sich auf die Unwirksamkeit der für ihn ungünstigeren vertraglichen Kündigungsfrist berufen habe, während sich im vorliegenden Fall der beklagte Arbeitgeber zulasten der schutzwürdigen Arbeitnehmerin auf die Unwirksamkeit der von ihm verwandten Vertragsklausel berufe. Sie behauptet, der Beklagte habe die unwirksame Kündig...