Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Mitarbeiters der Deutschen Lufthansa nach erfolgloser Durchführung eines Clearingsverfahrens
Leitsatz (amtlich)
Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit sozialer Auslauffrist • Allein die erfolglose Durchführung eines dreijährigen Clearingverfahrens nach Maßgabe des "Abkommens zum Schutz der Mitarbeiter im DLH-Konzern vor nachteiligen Folgen aus Rationalisierungsmaßnahmen" idF vom 1. Oktober 1995, der Konzernbetriebsvereinbarung "Interessenausgleich und Sozialplan" für das Bodenpersonal Deutschland idF vom 1. Januar 2001 und der Konzernbetriebsvereinbarung "Clearingverfahren" vom 27. September 2012 belegt im Fall einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung nicht, dass für den betroffenen Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung keine denkbare anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht. Die erfolglose Durchführung des Clearingverfahrens führt auch nicht zu einer Erleichterung der diesbezüglichen Darlegungslast des Arbeitgebers. • Die Durchführung des Clearingverfahrens führt weder zur Entbehrlichkeit einer Sozialauswahl noch zu einer Beschränkung der Sozialsauswahl auf den Kreis der Mitarbeitenden, die das Clearingverfahren erfolglos durchlaufen haben.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 27.02.2018; Aktenzeichen 16 Ca 6899/17) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 27. Februar 2018 - 16 Ca 6899/17 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist und die Weiterbeschäftigung des Klägers.
Die Beklagte ist ein internationales Luftfahrtunternehmen mit rd. 120.000 Beschäftigten. Bei der Beklagten ist ein Betriebsrat gebildet.
Der Kläger, geboren am XX.XX.1963, ist bei der Beklagten seit dem 1. Mai 1988 beschäftigt, zuletzt als Allrounder Finanz-/ Rechnungswesen im Bereich Bordverkaufsabrechnung (FRA RA/C-B) mit Dienstsitz in A zu einem Bruttojahrgehalt von 49.811,56 €. Der Kläger ist verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er ist schwerbehindert mit einem GdB von 50 und nach den kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme anwendbaren tariflichen Regelungen ordentlich unkündbar. Der Kläger war außerdem Ersatzmitglied des Betriebsrats. Er war zuletzt am 19. Mai 2017 als Betriebsrat tätig.
Im Jahr 2013 entschied die Beklagte, administrative Funktionen aus den Bereichen Finanzen, Revenue Accounting, HR, Einkauf und IT zu einer B (B) zu bündeln. In Umsetzung dessen schloss sie mit dem örtlichen Betriebsrat am Standort A am 27. Mai 2014 die "Betriebsvereinbarung Interessenausgleich und Sozialplan zur Neuausrichtung der Bereiche FRA PS, PS/C, PS/I, PV/R-U, PB/I incl. PS/A, CT/H, RS/P-H, RA/C-B, RO/L und -A sowie FRA LS, PA, RF/P aufgrund des Projektes Globe" (Anlage B 5 , Bl. 85 - 97 d.A.; im Folgenden IASP Globe). Darin heißt es auszugsweise:
"(…)
I. Präambel
(…) hat sich DLH entschieden, relevante Teile der administrativen Funktionen in den Bereichen Finanzen, Revenue Accounting, HR, Einkauf und IT zu einer Lufthansa Global Business Service (LGBS) Gesellschaft zu bündeln. Die LGBS wird in diesen Bereichen für alle DLH Gesellschaften weltweit Dienstleistungen erbringen und die Geschäftsprozesse harmonisieren und optimieren. Dem sich daraus ergebenden Reorganisations- und Kostensenkungserfordernissen soll durch Umsetzung dieser Betriebsvereinbarung Rechnung getragen werden. (…)
(…)
III. Gegenstand der Betriebsänderung
Von der Betriebsänderung sind hinsichtlich Struktur und Mitarbeiterzahl die Abteilungen FRA PS, PS/C, PS/I, PV/R-U, PB/I incl. PS/A, RS/P-H, CT/H, RA/C-B, RO/L und -A betroffen. Die Bereiche FRA LS, PA, RF/P geben zwar Aufgaben an die LGBS ab, diese haben aber keinerlei ausgleichspflichtige Veränderungen in den Bereichen zur Folge.
Prozesse aus den Bereichen FRA PS, PS/C, PS/I, PV/R-U, PB/I incl. PS/A, CT/H, RA/C-B, RO/L und -A, RS/P-H werden in die LGBS überführt. Je nach Klassifizierung werden die Prozesse zukünftig entweder in Deutschland in der LGBS, am Standort Frankfurt (onshore) oder im LGBS-Center in Polen, am Standort Krakau (nearshore) durchgeführt.
Insgesamt hat diese neue Ausrichtung (…) einen Abbau von 86 Mitarbeitern zufolge. (…) Parallel hierzu werden Stellen in der LGBS aufgebaut.
(…)
Im Einzelnen bedeutet diese neue Ausrichtung folgende Veränderung für die betroffenen Bereiche:
(…)
8. FRA RA/C-B
FRA RA/C-B beschäftigt acht MitarbeiterInnen sowie eine externe Kraft. Die LGBS Frankfurt wird dazu eine Stelle auf Gruppenleiterebene (LH Begriff) ausschreiben. Die Arbeitsplätze der übrigen MitarbeiterInnen werden nach einer am 30.06.2014 beginnenden Wissenstransferphase zum 31.08.2014 nach KRK gehen; die vertragliche Verpflichtung der externen Person wird been...