Unwirksame Kündigung wegen fehlerhafter Sozialauswahl
Wenn Arbeitgeber betriebsbedingte Kündigungen aufgrund einer Betriebsschließung aussprechen, ist oftmals eine Anzeige für Massenentlassungen notwendig. Wird der Betrieb in Etappen stillgelegt, ist in dem Zusammenhang auch eine Sozialauswahl zu treffen. Wenn noch Abwicklungsarbeiten durchzuführen sind, müssen die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmenden damit betraut werden.
Fehler in diesem Zusammenhang führen regelmäßig zu unwirksamen Kündigungen. Vorliegend war die Kündigung nach Meinung des LAG Düsseldorf unwirksam - nicht wegen Fehlern bei der Massenentlassungsanzeige, jedoch wegen einer fehlerhaften Sozialauswahl. Was ist falsch gelaufen?
Der Fall: Unwirksame Kündigung wegen fehlerhafter Sozialauswahl
Der Arbeitnehmer in diesem Fall war seit Februar 2012 in einem Betrieb beschäftigt, der Aluminiumgussteile herstellte und vertrieb. Zuletzt beschäftigte der Arbeitgeber knapp 600 Mitarbeitende. Am 1. März 2022 wurde das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung eröffnet. Der Sachwalter und der Gläubigerausschuss stimmten der Einstellung der Geschäftstätigkeit zum 31. Dezember 2022 zu. Im Dezember 2022 sprach der Arbeitgeber gegenüber allen Beschäftigten betriebsbedingte Beendigungskündigungen aus, soweit das Ende des Arbeitsverhältnisses nicht aus anderen Gründen feststand.
Freistellung aller Mitarbeitenden bis auf Abwicklungsteam
Alle Mitarbeitenden - auch dem Arbeitnehmer im konkreten Fall - wurden ab dem 1. Januar 2023 unwiderruflich freigestellt. Ausgenommen waren nur die Beschäftigten des Abwicklungsteams. Dieses umfasste 53 Arbeitnehmende, wobei gegenüber dreizehn Personen Kündigungen zum 31. März 2023 und gegenüber den übrigen vierzig Personen Kündigungen zum 30. Juni 2023 ausgesprochen wurden.
Das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers, der mit der Kündigungsschutzklage gegen seine Kündigung vorging, kündigte der Arbeitgeber mit Schreiben vom 16. Dezember 2022 zum 31. März 2023. Die Verhandlungen zum Abschluss eines Interessenausgleichs hatte die Einigungsstelle für gescheitert erklärt. Daraufhin hatte der Arbeitgeber wenige Tage später Anträge auf behördliche Zustimmungen zur betriebsbedingten Kündigung nach dem SGB IX (schwerbehinderte Menschen) und BEEG (Elternzeit) gestellt. Den Beschäftigten wurde die Gelegenheit eingeräumt, in eine Transfergesellschaft zu wechseln.
Erfolgreiche Kündigungsschutzklage
Der Arbeitnehmer ging gegen seine Kündigung vor und hatte mit seiner Kündigungsschutzklage vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf auch in zweiter Instanz Erfolg. Grund waren jedoch keine Fehler bei der Massenentlassungsanzeige, wie das Gericht betonte.
Der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts ist zuletzt infolge einer EuGH-Entscheidung von seiner Rechtsprechung abgerückt, dass etwaige Fehler in Zusammenhang mit einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige einen Unwirksamkeitsgrund für eine Kündigung darstellen. Das LAG Düsseldorf verwies nun in seiner Urteilsbegründung darauf, dass die Kündigung vorliegend nicht nach § 17 KSchG i.V.m. § 134 BGB wegen einer nicht ordnungsgemäßen Massenentlassungszeige unwirksam sei. Etwaige Fehler in diesem Zusammenhang stellten keinen Unwirksamkeitsgrund dar, weil Zweck der Anzeige nicht der Individualschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sei.
Die Kündigung war aber aufgrund einer nicht ordnungsgemäßen Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG rechtsunwirksam, stellte das LAG Düsseldorf wie schon zuvor das Arbeitsgericht Solingen fest. Bei einer etappenweisen Betriebsstillegung habe der Arbeitgeber keine freie Auswahl, wem er früher oder später kündige. Vielmehr müsse er grundsätzlich die sozial schutzwürdigsten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit den Abwicklungsarbeiten beschäftigen.
Sozialauswahl fehlerhaft durchgeführt
Das habe der Arbeitgeber vorliegend versäumt. Er habe die Sozialauswahl methodisch fehlerhaft durchgeführt, weil er die Vergleichsgruppen fehlerhaft gebildet habe. Hierzu stellte das Gericht fest, dass der Arbeitgeber diese unter anderem anhand der ursprünglich ausgeübten Tätigkeiten gebildet habe. Richtig wäre es gewesen, die soziale Auswahl anhand der noch im Abwicklungsteam anfallenden Tätigkeiten vorzunehmen. Der Arbeitgeber habe hierzu aber vor Gericht nicht deutlich machen können, welche Aufgaben mit welcher Dauer im Abwicklungsteam anfielen, welche Anforderungsprofile dafür erforderlich waren und wie auf dieser Grundlage ein Vergleich vorgenommen werden sollte. Die daraus folgende Vermutung der fehlerhaften Sozialauswahl konnte der Arbeitgeber aus Sicht des Gerichts nicht widerlegen.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen.
Hinweis: Landesarbeitsgericht Düsseldorf Urteil vom 9. Januar 2024, Az: 3 Sa 529/23; Vorinstanz: Arbeitsgericht Solingen, Urteil vom 13. April 2023, Az: 3 Ca 126/23
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