Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertretung des Arbeitnehmers durch ein Betriebsratsmitglied. Nachweispflicht bei Arbeitsunfähigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Arbeitnehmer kann ein Betriebsratsmitglied beauftragen, einzelvertragliche Ansprüche in seinem Namen gegenüber dem Arbeitgeber rechtsgeschäftlich geltend zu machen
2. Nach § 11 Nr. I. 2. des Gemeinsamen Manteltarifvertrages für Arbeiter und Angestellte in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen brauchen Angestellte sowie Arbeiter nach mehr als fünfjähriger Betriebszugehörigkeit bei einer Kurzerkrankung bis zu drei Kalendertagen keine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen (für Arbeiter insoweit abweichend von § 3 Abs. 1 S. 1 LFZG).
Nimmt ein Arbeitnehmer, für den diese Tarifvertragsbestimmung gilt, zu Beginn einer Krankheit zunächst berechtigt an, er werde höchstens drei Kalendertage arbeitsunfähig sein, stellt sich später aber heraus, daß die Krankheit doch länger als drei Tage dauert, dann bleibt er von der Pflicht zur Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die ersten drei Tage der Krankheit befreit, wenn er für sie kein – rückwirkendes – ärztliches Attest erhalten kann.
Normenkette
LFZG § 1 Abs. 1 S. 1, § 3 Abs. 1 S. 1, § 5 S. 1; BetrVG 1972 § 80 Abs. 1, § 84 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 20.09.1989; Aktenzeichen 7 Ca 158/89) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 20. September 1989 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main – 7 Ca 158/89 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beklagte gehört zum Bereich der hessischen Metallindustrie.
Der Kläger ist seit dem 11. November 1968 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Er erhielt im Jahre 1988 einen Stundenlohn von 15,65 DM brutto. Die tägliche Arbeitszeit betrug 7,7 Stunden. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Verbands Zugehörigkeit die Tarifverträge der hessischen Metallindustrie Anwendung.
Ab dem 08. November 1988 erschien der Kläger nicht zur Arbeit. Arbeitskollegen, mit denen er gewöhnlich gemeinsam zum Betrieb der Beklagten fährt, teilten dort mit, daß der Kläger krank sei. Am 10. November 1988 suchte der Kläger einen Arzt auf. Dieser bescheinigte ihm für die Zeit vom 09. bis zum 12. November 1988 Arbeitsunfähigkeit (vgl. Fotokopie der Bescheinigung Bl. 8 d.A.). Der Kläger litt an einer Erkältung. Am Montag, dem 14. November 1988, nahm der Kläger seine Arbeit wieder auf.
Die Beklagte zahlte dem Kläger für die Zeit vom 09. bis zum 12. November 1988 den vereinbarten Lohn weiter. Sie weigerte sich jedoch, dem Kläger auch für den 08. November 1988 den Lohn in der unstreitigen Höhe von 120,50 DM brutto zu zahlen.
Der auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbare gemeinsame Manteltarifvertrag für Arbeiter und Angestellte in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen –GMTV– enthält zu den Mitteilungspflichten des Arbeitnehmers bei Krankheit in § 11 Nr. I. folgende Bestimmungen:
- Bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit hat der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich – möglichst zu Beginn der ersten durch Arbeitsunfähigkeit ausfallenden Schicht – mitzuteilen.
Vor Ablauf des 3. Kalendertages nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich nachzureichen.
Bei einer Kurzerkrankung bis zu drei Kalendertagen brauchen eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht vorzulegen:
- Angestellte,
- Arbeiter nach mehr als fünfjähriger Betriebszugehörigkeit.
Dies gilt nicht für Kurzerkrankungen,
- die unmittelbar vor, nach oder an bezahlten oder unbezahlten arbeitsfreien Tagen beginnen,
- sowie vor, nach und im bezahlten oder unbezahlten Urlaub.
Bei begründetem Anlaß im Einzelfalle kann durch Vereinbarung mit dem Betriebsrat die Befreiung von der Attestvorlagepflicht aufgehoben werden.
Der genannte gemeinsame Manteltarifvertrag regelt darüber hinaus in § 27 Ausschluß fristen wie folgt:
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind wie folgt geltend zu machen:
- Ansprüche auf Zuschläge aller Art. sowie auf Mehrarbeitsvergütungen sofort, spätestens innerhalb 2 Monaten nach Abrechnung der Lohn-/Gehaltsperiode, bei der sie hätten abgerechnet werden müssen;
- alle übrigen beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von 3 Monaten nach ihrer Fälligkeit.
- Eine Geltendmachung nach Ablauf der unter Ziff. 1 festgesetzten Frist ist ausgeschlossen, es sei denn, daß die Einhaltung dieser Frist wegen eines unabwendbaren Zufalls nicht möglich gewesen ist.
- Ist ein Anspruch rechtzeitig erhoben worden und lehnt die Gegenseite seine Erfüllung ab, so ist der Anspruch innerhalb von 3 Monaten seit der Ablehnung gerichtlich geltend zu machen. Eine spätere Geltendmachung ist ausgeschlossen.
Der Kläger beauftragte den Betriebsratsvorsitzenden D., seinen ...