Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung. Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären Drogentherapie während der Haftzeit eines Versicherten. Antrag auf Aussetzung des Strafarrestes
Leitsatz (amtlich)
§ 12 Abs 1 Nr 5 SGB 6 steht seinem eindeutigen Wortlaut nach der Bewilligung einer Drogentherapie auf Kosten der Rentenversicherung während der Haftzeit eines Versicherten entgegen. Dies gilt auch, soweit ein Antrag auf Aussetzung des Strafrestes gestellt, aber noch nicht beschieden ist.
Orientierungssatz
Die Frage, ob durch den Rentenversicherungsträger medizinische Rehabilitationsleistungen nach § 9 Abs 1 S 1 SGB 6 zu gewähren sind (sog Eingangsprüfung) steht nicht im Ermessen der Rentenversicherung, sondern ist allein davon abhängig, ob die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen des § 10 SGB 6 und des § 11 SGB 6 vorliegen und kein Leistungsausschluss nach § 12 SGB 6 gegeben ist. Hinsichtlich der Art, Dauer, Umfang usw liegt dagegen eine Ermessensentscheidung des Rentenversicherungsträgers vor, die durch die Gerichte nur eingeschränkt überprüft werden kann.
Tenor
I. Auf die Berufung der Antragsgegnerin werden der Beschluss des Sozialgerichts Fulda vom 8. November 2010 aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung von vollem Umfang abgelehnt.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Leistung zur medizinischen Rehabilitation (stationäre Drogentherapie) im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes streitig.
Der 1977 geborene Antragsteller hatte von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 22. Januar 2008 und Bescheid vom 4. Februar 2009 eine Kostenzusage (befristet für sechs Monate) für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation erhalten. Zu einer Aufnahme in einer Therapieeinrichtung kam es nicht, da der Kläger ab 4. Mai 2008 in der Justizvollzugsanstalt - zuletzt B-Stadt - eine Freiheitsstrafe verbüßte.
Am 19. Juli 2010 beantragte der Antragsteller erneut die Gewährung von Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (Entwöhnungsbehandlung). Unterstützt wurde dieser Antrag von der Sucht- und HIV-Beratung der Justizvollzugsanstalt B-Stadt. Der Antragsteller gab an, diese stationäre Maßnahme im Anschluss an seine Haftzeit antreten zu wollen und behauptete, dass die Strafvollstreckungskammer C-Stadt die Entlassung von einer erteilten Kostenzusage abhängig machen würde.
Mit Bescheid vom 26. Juli 2010 lehnte die Antragsgegnerin unter Hinweis auf § 12 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch Sechstes (SGB VI) eine Leistungsgewährung ab.
Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein und trug vor, dass er seinerzeit die Therapie nicht habe antreten können, da sein Strafmaß nach § 35 Betäubungsmittelgesetz (BtmG) nicht zurückstellungsfähig gewesen sei. Nur unter Vorlage einer Kostenzusage für eine Therapie sei eine vorzeitige Haftentlassung im Dezember 2010 gemäß § 57 Strafgesetzbuch (StGB) möglich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. September 2010 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch zurück, der Antragsteller habe zwar die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, aber nach § 12 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI könnten Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für Versicherte nicht erbracht werden, die sich in Untersuchungshaft oder im Vollzug einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung befänden oder einstweilig nach § 126 a Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) untergebracht seien. Nach der Haftentlassung könne er einen neuen Antrag stellen.
Am 18. Oktober 2010 beantragte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Fulda und machte geltend, dass aufgrund der noch immer behandlungsbedürftigen Suchtproblematik eine positive Entscheidung “im 2/3-Termin„ durch den erkennenden Richter der Strafvollstreckungskammer davon abhängig sei, dass er nahtlos in die stationäre Drogentherapieeinrichtung “Therapiedorf X.„ in VU. überstellt werde. Er sei deshalb gezwungen, aus der Haft heraus einen Antrag zu stellen. § 12 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI finde keine Anwendung, da er die Leistung erst nach seiner Haftzeit antreten wolle.
Mit Beschluss vom 8. November 2010 hat das Sozialgericht Fulda die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller eine Zusage für eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation in Form einer stationären Drogentherapie zu erteilen, und im Übrigen den Antrag abgelehnt. In den Gründen hat das Sozialgericht u.a. ausgeführt, dass dem Antragsteller einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren sei, da ihm sonst eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten drohe, welche in der Hauptsache nicht beseitigt werden könnte. Der Antragsteller erfülle unstrittig die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Die Kostenzusage scheitere auch nicht am Ausschlussgrund von § 12 Abs. 1 Nr. 5 SGB VI, weil der Antragsteller eindeutig klargestellt habe, dass er die Le...