Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. stationäre Drogentherapie. Strafgefangener. Bewilligung mit Nebenbestimmung. schriftliche Zusicherung. Aussetzung des Strafrests zur Bewährung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung hat einen Antrag auf eine Leistung zur Teilhabe durch eine stationäre Drogentherapie nach § 12 Abs 1 Nr 5 SGB 6 abzulehnen, wenn sich der Antragsteller zum Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung noch im Vollzug einer Freiheitsstrafe befindet.
2. Eine Bewilligung mit einer Nebenbestimmung nach § 32 SGB 10 ist nicht das geeignete Instrument, um eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 Abs 1 StGB zu erlangen, weil das Nichtvorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 12 SGB 6 zu den wesentlichen Leistungsvoraussetzungen gehört. Insoweit sind auch die für Maßnahmen der Strafvollstreckung zuständigen Gerichte an die vom Gesetzgeber vorgegebene Kompetenzordnung gebunden.
3. Allerdings steht es im Ermessen des Rentenversicherungsträgers, auf Antrag eine schriftliche Zusicherung nach § 34 SGB 10 für den Fall der Haftentlassung zu erteilen und insoweit auch bereits sein Auswahlermessen nach § 13 Abs 1 S 1 SGB 6 hinsichtlich der Ausgestaltung der Leistung zur Teilhabe zu konkretisieren.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Fulda vom 30. März 2011 aufgehoben und der Antrag abgelehnt.
Die Beteiligten haben einander in beiden Rechtszügen keine Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes um die Bewilligung von stationären Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke.
Der Antragsteller war mit Unterbrechungen von August 1987 bis Februar 1994 versicherungspflichtig beschäftigt und schloss 1995 eine Berufsausbildung zum Dachdecker erfolgreich ab. Anschließend war er erneut mit Unterbrechungen von Juli 2002 bis April 2009 versicherungspflichtig beschäftigt. Auf den Kontenspiegel vom 17. November 2010 (Bl. 3 Verwaltungsakten) wird wegen des genauen Versicherungsverlaufs Bezug genommen.
Zur Zeit verbüßt der Antragsteller aufgrund eines Urteils des Amtsgerichts Gießen vom 14. August 2009 (Az. XY.) die dort ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe wegen eines Drogendelikts von einem Jahr und sechs Monaten sowie verschiedene weitere Freiheitsstrafen nach Bewährungswiderrufen, die nach der Entscheidung der Staatsanwaltschaft ZQ. vom 23. April 2010 mangels Kausalität nicht zurückstellungsfähig im Sinne von § 35 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) sind. Haftentlassungstermin bei vollständiger Verbüßung der Freiheitsstrafe wäre der 21. April 2013. Eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach § 57 Strafgesetzbuch (StGB) wäre erstmals ab 20. Januar 2011 möglich gewesen. In seiner eidesstattlichen Versicherung vom 11. März 2011 hat der Antragsteller erklärt, die zuständige Strafvollstreckungskammer habe ihm in einer mündlichen Verhandlung am 12. Januar 2011 zu erkennen gegeben, eine Aussetzung des Strafrestes komme nur bei einem nahtlosen Übergang in eine stationäre Drogentherapie in Betracht. Ein Therapieplatz in der Fachklinik C. in D. sei ihm von dort bereits zugesagt worden, sobald die Kostenträgerschaft geklärt sei.
Am 16. November 2010 beantragte er bei der Antragsgegnerin die Bewilligung von Leistungen zur stationären medizinischen Rehabilitation unter Vorlage einer befürwortenden Stellungnahme des Facharztes für Neurochirurgie und Neuroorthopädie Dr. E. vom 8. November 2010 sowie eines Sozialberichts der Sucht- und HIV-Beratung der JVA A-Stadt vom 3. November 2010, mit dem die angestrebte stationäre Drogentherapie ebenfalls dringend befürwortet wurde.
Mit Bescheid vom 22. November 2010 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab, weil sich der Antragsteller zur Zeit im Vollzug einer Freiheitsstrafe befinde. In dem sich anschließenden Widerspruchsverfahren wies der Antragsteller darauf hin, die stationäre Drogentherapie erst für die Zeit nach Haftentlassung anzustreben. Die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung sei allerdings von der vorgängigen Kostenzusage der Antragsgegnerin abhängig. Hierzu ging eine ebenfalls befürwortende Stellungnahme des Leiters der JVA A-Stadt vom 29. November 2010 bei der Antragsgegnerin ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zwar habe der Antragsteller die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Leistung erfüllt. Jedoch liege ein Ausschlussgrund nach § 12 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI) vor, weil sich der Antragsteller im Vollzug einer Freiheitsstrafe befinde. Nach Haftentlassung könne erneut ein Antrag auf Durchführung einer Entwöhnungsbehandlung gestellt werden.
Am 28. Februar 2011 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Fulda hiergegen Klage erhoben (S 3 R 72/11) und am 4. März 2011 beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm Leis...