Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung überzahlter Beitragszuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung. Privatrechtssubjekt. Kondiktionsrecht. Entreicherung. Vorteilsabschöpfung. Versicherungsfreiheit. Vergleich mit dem Versicherungsschutz bei regelgerechtem Verlauf
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Rückforderung überzahlter Beitragszuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung stehen sich Arbeitgeber und Versicherter als Privatrechtssubjekte gegenüber. Da keine Behörde beteiligt ist, kommt das Rechtsinstitut des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs nicht zur Anwendung. Maßgeblich ist das Kondiktionsrecht der §§ 812ff BGB einschließlich der §§ 818 Abs 3, 819 BGB über die Entreicherung (entgegen SG Heilbronn vom 26.3.2012 - S 12 KR 4737/10 = juris RdNr 21ff).
2. Im Rahmen des § 818 Abs 3 BGB findet nur eine Abschöpfung erlangter Vorteile statt. Es ist gegenüberzustellen und zu saldieren, wie sich die Vermögenssituation des Versicherten infolge der rechtsgrundlosen Erlangung der von dem Arbeitgeber gezahlten Beitragszuschüsse im Hinblick auf den Versicherungsschutz für Krankheit und Pflege durch Privatversicherung entwickelt hat und wie sich dessen Vermögenssituation bei einem regelmäßigen gesetzesgemäßen Verlauf mit Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung dargestellt hätte. Ergibt dieser Vergleich keine Besserstellung des Versicherten, so kann er sich auf Entreicherung berufen.
Normenkette
SGB V § 257 Abs. 2, § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1 Nr. 1; SGB XI § 61; BGB § 812 Abs. 1 S. 1, § 818 Abs. 3, § 819 Abs. 1; SGG § 51 Abs. 1, § 183 S. 1, § 193
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden 7. November 2011 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat der Beklagten auch deren außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin beansprucht von der Beklagten die Rückerstattung von an diese gezahlter Zuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Beklagten.
Die Klägerin erbringt u.a. im Auftrag des Landes Hessen Rettungsdienstleistungen auf der Grundlage des Hessischen Rettungsdienstgesetzes. Bei ihr war die 1966 geborene Beklagte aufgrund eines schriftlichen Dienstvertrages vom 15. Januar 2004 ab dem 1. Februar 2004 als Notärztin in Teilzeitbeschäftigung (75 % der Vollzeit) angestellt. Sie erhielt von der Klägerin im Jahr 2004 ein Bruttoarbeitsentgelt von 35.663,26 Euro, im Jahr 2005 von 42.347,80 Euro und im Jahr 2006 von 43.776,13 Euro. Die für die Klägerin tätigen Buchungs- und Abrechnungsstellen führten die Beklagte als Arbeitnehmerin, die wegen Überschreitens der Beitragsbemessungsgrenze nicht versicherungspflichtig zur gesetzlichen Krankenversicherung und gesetzlichen Pflegeversicherung sei. Der Beklagten, die bei der D. Krankenversicherung AG seit Jahren eine private Kranken-/Pflegepflichtversicherung unter Einbeziehung ihrer Tochter abgeschlossen hatte, wurde seitens der Klägerin während des Beschäftigungsverhältnisses Arbeitgeberzuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung nach § 257 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und § 61 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) gezahlt. Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung wurden von der Klägerin nicht abgeführt, da die Beklagte auf Grund ihrer Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Landesärztekammer Hessen von der Rentenversicherungspflicht befreit war.
Im Rahmen ihrer Bewerbung hatte die Beklagte auf dem Bewerbungsbogen der Klägerin unter dem 18. Dezember 2003 angegeben, sie beabsichtige neben der Tätigkeit bei der Klägerin noch andere Tätigkeiten als Notärztin mit einem Beschäftigungsumfang von 10 bis 20 Stunden in der Woche und einem Entgelt von ca. 300 Euro brutto pro Monat auszuüben. In ihrem Lebenslauf hatte die Klägerin für den Zeitraum 1997 bis 2001 eine selbständige Tätigkeit als Notärztin und für den Zeitraum 2001 bis 2003 eine Tätigkeit als Assistenzärztin aufgeführt. Die Abrechnungsstelle der Klägerin war zunächst davon ausgegangen, die Gesamteinkünfte der Beklagten würden unter der Jahresarbeitsentgeltgrenze liegen und hatte die Beklagte mit Schreiben vom 12. März 2004 darauf hingewiesen, dass sie dem Grunde nach der gesetzlichen Krankenversicherung unterliege, wenn kein Befreiungsbescheid vorgelegt werde. Daraufhin meldete sich die Beklagte telefonisch bei der Sachbearbeiterin der Abrechnungsstelle und gab laut deren Vermerk vom 25. März 2004 über das Telefongespräch an, sie sei als Notärztin noch bei anderen Arbeitgebern freiberuflich tätig und käme mit den Gehältern insgesamt über die Beitragsbemessungsgrenze. Hierauf ging die Abrechnungsstelle der Klägerin davon aus, die Jahresarbeitsentgeltgrenze werde infolge mehrerer unselbständigen Tätigkeiten der Beklagten überschritten. Die Beklagte habe Anspruch auf Arbeitgeberzuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung.
Mit Schreiben vom 24. März 2006 bat die Abrechnungsstelle der Klägerin die Beklagte um die Angabe des...