Nachunternehmervertrag allein macht keine selbstständigen Unternehmer
Das Hessische LSG hatte über die Verpflichtung eines Bauunternehmens zur Leistung von Sozialabgaben hinsichtlich mehrerer, angeblich als selbständige Unternehmer auf diversen Baustellen der Baufirma tätigen Bauarbeiter zu entscheiden.
Trockenbaufirma mit nur einer Beschäftigten
Der Kläger war Inhaber eines Einzelunternehmens für Trockenbau und Brandschutz. Angestellt in seinem Unternehmen war lediglich seine Ehefrau als sozialversicherungspflichtige Beschäftigte. Seitens einer größeren Baufirma war der Kläger über einen längeren Zeitraum auf diversen Baustellen mit der Durchführung von Trockenbau- und Brandschutzarbeiten beauftragt. Zur Durchführung dieser Arbeiten bediente er sich dreier Bauarbeiter, sämtlich ungarische Staatsangehörige.
Ungarische Arbeiter mit eigener GbR
Die drei Bauarbeiter hatten zum Zwecke der Durchführung der Arbeiten eine deutsche GbR gegründet, die in die Handwerksrolle eingetragen wurde. Die GbR verfügte über eine Freistellungsbescheinigung zum Steuerabzug bei Bauleistungen und erstellte vorläufige Einnahmeüberschussrechnungen. Der Firmensitz war in Deutschland. Wie sich im gerichtlichen Verfahren herausstellte, waren die ungarischen Arbeiter der deutschen Sprache kaum mächtig und hatten den von ihnen unterzeichneten GbR-Vertrag inhaltlich nicht wirklich verstanden.
Subunternehmervertrag zwischen Baufirma und GbR
Im Jahr 2013 schlossen der Kläger und die GbR einen Nachunternehmervertrag, der diverse Vereinbarungen zu individuell zu erstellenden Kalkulationen, Leistungsvereinbarungen, Auftragsschreiben, Abschlags- und Schlussrechnungen sowie Gewährleistungsregelungen enthielt. Auf der Grundlage dieses Vertrages wurden die drei Bauarbeiter für den Kläger tätig. Ihre Arbeit bestand darin, Säulen und Stützen mit Promatplatten zum Zweck des Brandschutzes zu umkleiden. Pro Säule und Stütze wurde eine Vergütung in Höhe von 10-11 Euro vereinbart.
Unternehmerische Entscheidungen lagen beim Kläger
Das Werkzeug zur Ausführung der Arbeiten stellte der Kläger zur Verfügung. Die jeweiligen Arbeitsorte wurden vom Kläger vorgegeben. Auch um Folgeaufträge hat sich allein der Kläger gekümmert. In der Praxis hatte jeder der ungarischen Arbeiter am Ende des Monats ca. 800 Euro netto für sich zur Verfügung.
Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen
Nach einer vom Hauptzollamt durchgeführten Betriebsprüfung forderte die beklagte Rentenversicherung vom Kläger mit Bescheid vom 29.12.2016 die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen sowie Umlagen und Säumniszuschlägen in Höhe von über 100.000 Euro. Zur Begründung führte die Beklagte aus, die drei ungarischen Arbeiter seien als Scheinselbständige in Wahrheit abhängige Beschäftigte des Klägers gewesen. Damit unterlägen sie der Versicherungspflicht in der Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung.
Subunternehmervertrag zur Verschleierung von Beschäftigungsverhältnissen
Die hiergegen eingelegten Rechtsbehelfe des Klägers waren sämtlich erfolglos. Nach Auffassung des in der Berufungsinstanz zuständigen LSG diente der zwischen dem Kläger und der GbR geschlossene Nachunternehmervertrag lediglich der Verschleierung der in Wirklichkeit bestehenden abhängigen Beschäftigungsverhältnisse. Den Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung gebe § 7 Abs. 1 SGB IV vor. Danach seien eine
- weisungsgebundene Tätigkeit und
- die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers
wesentliche Indizien für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung.
Organisatorische Eingliederung in Trockenbaubetrieb
Im konkreten Fall sei davon auszugehen, dass die drei ungarischen Arbeiter in einem persönlichen Abhängigkeitsverhältnis zum Kläger gestanden hätten. Sie seien in den Betrieb des Klägers vollständig eingegliedert gewesen. Der Kläger habe die Weisungen zur Durchführung der geschuldeten Arbeiten nach Zeit, Dauer, Ort und Art den zu erbringenden Arbeitsleistungen erteilt (BSG, Urteil v. 29.8.2012, B 12 KR 25/10 R).
„Subunternehmer“ setzen lediglich ihre Arbeitskraft ein
Demgegenüber fehlte es nach Auffassung des LSG an den typischen Merkmalen einer selbständigen Tätigkeit der drei ungarischen Arbeiter. Diese unterhielten
- keine eigene Betriebsstätte,
- keine eigene Verfügungsbefugnis über den Einsatz ihrer Arbeitskraft,
- keine Entscheidungsgewalt über die Arbeitszeit sowie
- die Gestaltung der Tätigkeit.
- Schließlich hätten die Arbeiter auch nicht das für einen selbständigen Betrieb typische Unternehmensrisiko getragen (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 10.11.2021, L 14 KR 474/16).
- Die drei Arbeiter hätten auch nicht in unternehmertypischer Weise Kapital, sondern in arbeitnehmertypischer Weise lediglich ihre Arbeitskraft eingesetzt.
Nicht die vertraglichen Vereinbarungen, die praktische Umsetzung ist entscheidend
Der geschlossene Nachunternehmervertrag ändert nach der Beurteilung des LSG trotz der für einen solchen Vertrag typischen Einzelbestimmungen an dieser Beurteilung nichts. Die dort vereinbarte selbstständige Ausführung von Arbeiten sei in der Praxis nicht zum Tragen gekommen. Die in einem solchen Fall typischerweise zu erstellenden Abschlags- und Schlussrechnungen seien nie erteilt worden, ebensowenig die vertraglich vorgesehenen Leistungsverzeichnisse und Leistungsbeschreibungen für die einzelnen Gewerke. Auch während der Vertragszeit eingetretene Erhöhungen der Materialpreise und ähnliches seien nicht berücksichtigt worden. Vielmehr hätten die Arbeiter stets die gleiche Vergütung in der für Lohnzahlungen typischen Art erhalten.
Kläger muss Sozialversicherungsbeiträge nachentrichten
Im Ergebnis hat der Kläger nach der Beurteilung des LSG die drei ungarischen Arbeiter damit als Scheinselbstständige geführt. Die in Wahrheit bestehenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse hätten durch die Nachunternehmerkonstruktion lediglich verschleiert werden sollen. Damit seien die - der Höhe nach zutreffend ermittelten - Sozialversicherungsbeiträge vom Kläger zu entrichten.
(Hessisches LSG, Urteil v.7.3.2023, L 8 BA 51/20)
Hintergrund:
Sowohl Arbeits- als auch Sozialgerichte haben immer wieder Veranlassung, über die Abgrenzung zwischen abhängigen Beschäftigungsverhältnissen und selbstständigen Unternehmerverträgen zu entscheiden. In jüngster Zeit sorgten neben der Beschäftigung von Scheinselbstständigen am Bau die besonders in der Fleischindustrie häufig praktizierten Werkverträge für mediale Aufmerksamkeit. In diesem Kontext hat die Rechtsprechung einige wesentliche Kriterien für das Vorliegen einer sozialversicherungspflichtigen Scheinselbstständigkeit entwickelt. Diese Kriterien stellen Indizien dar und sind grundsätzlich einer wertenden Gesamtgewichtung zu unterziehen.
Folgende Indizien sprechen für eine abhängige Arbeitnehmerstellung (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 22.7.2020, L 8 BA 78/18; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 16.7.2021, L 4 BA 75/20; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 25.10.2021, L 8 BA 3118/20; BAG, Urteil v. 6. 20.6.2019, 5 AZR 178/18):
- Unmittelbare Weisungsbefugnis des Auftraggebers,
- kein eigenes Unternehmerrisiko des Auftragnehmers,
- feste Arbeitszeiten,
- feste Integration in die Organisation des Auftraggebers,
- Ausführung der Arbeiten in den Räumen des Auftraggebers,
- keine eigenen Beschäftigten des Auftragnehmers,
- regelmäßige, weitgehend gleiche Monatsbezüge,
- Reportpflichten gegenüber dem Auftraggeber,
- Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall,
- Urlaubsanspruch.
Für eine echte Selbständigkeit sprechen folgende Indizien (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 20.6.2020, L 8 BA 6/18; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 30.1.2020, L 8 BA 4365/18)
- Eigenständiger Auftritt des Unternehmers nach außen,
- keine Weisungsgebundenheit,
- eigenständige betriebliche Organisationsstrukturen,
- eigenständige Orts- und Zeitplanung,
- eigene Betriebsstätte,
- Beschäftigung eines oder mehrerer Mitarbeiter,
- eigener Kapitaleinsatz,
- eigenes Verlustrisiko,
- von dem üblichen Arbeitnehmereinkommen abweichende Vergütung.
Hinweis: Ob im Einzelfall eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt oder nicht können sowohl der Auftragnehmer als auch der Auftraggeber gemäß § 7a SGB IV in einem Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung Bund feststellen lassen.
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