Dipl.-Psych. Uwe Weinreich
Zusammenfassung
Die COVID-19-Pandemie hat die Art und Weise, wie wir arbeiten, in nie gekanntem Maße und rasanter Geschwindigkeit verändert. Hybrides Arbeiten ist für viele Unternehmen zur Norm geworden. Allerdings befinden sich die meisten Firmen noch in einem Such- und Entwicklungsprozess, um die Form zu finden, die zum eigenen Unternehmen passt.
In diesem Artikel befassen wir uns mit den Vor- und Nachteilen hybrider Arbeitsmodelle und den Erkenntnissen, wie das Konzept der psychologischen Sicherheit die Neuorganisation wirksam unterstützen kann. Voraussetzungen und Best Practices hybriden Arbeitens, inklusive der Herausforderungen an die Organisation und Führung werden diskutiert.
1 Traditionelle Arbeitsortmodelle unter Druck
Die folgenden Geschichten trugen sich im Jahr 2022 zu, nachdem die Corona-Maßnahmen gelockert worden waren. Die Namen der Personen sind geändert.
Homeoffice als Chance
- Ich sprach mit Georg, dem Gewinner eines regionalen Unternehmenswettbewerbs, darüber, wie das Unternehmen die Pandemie überstanden hat. Die Antwort: "Es ging problemlos. Wir haben alle Mitarbeiter, die nicht in der Produktion arbeiten, mit Laptops ausgestattet und die durften dann von zu Hause aus arbeiten. Aber natürlich haben wir eine Software installiert, die uns genau meldet, wann wer wie viele Tastaturanschläge produziert. Alles natürlich mit höchstem Datenschutz."
- Anna, Mitarbeiterin eines Dax-Konzerns, hatte während der Lockdown-Monate die Vorteile von Homeoffice und Landleben entdeckt. Es bot sich eine Chance, günstig ein Einfamilienhaus zu kaufen, 70 km vom Unternehmensstandort entfernt. Jetzt war sie völlig entsetzt, als ihr Arbeitgeber verlangte, dass sie jeden Tag wieder im Büro sein sollte. Sie findet es unverschämt und ist deshalb auf Stellensuche.
- Hendrik, Facility-Manager bei einem Konzern im Rheinland, führt mich bei einem Besuch durch das Gebäude und zeigt mir: 80 % der Schreibtische sind unbesetzt, obwohl keine Ferienzeit ist. Nicht nur er, sondern auch der Vorstand macht sich Gedanken, wie Flächen anders genutzt werden können. Einfach Fläche verringern geht auch nicht, denn man muss ja jedem Mitarbeiter einen Arbeitsplatz anbieten.
- Stepstone meldet, dass über 80 % der aktuellen Stellengesuche auf der Plattform die Möglichkeit, remote arbeiten zu können, zur Bedingung machen.
Die Arbeitswelt hat sich verändert und es gibt kein Zurück mehr. Die Pandemie hat nur zum Ausdruck gebracht, was schon seit Langem möglich war. Zum Glück, denn ohne die vorhandenen technischen Möglichkeiten, die in Windeseile installiert und genutzt wurden, wäre unsere Wirtschaft komplett zum Erliegen gekommen. Die Erfahrung, dass es funktionieren kann, wenn Menschen an verteilten Orten arbeiten, hat tiefe Spuren hinterlassen: eine Erweiterung des Planungshorizontes bei Führungskräften und Begehrlichkeiten bei Mitarbeitern.
Die Flexibilität, im Büro, von zu Hause oder an einem dritten Ort zu arbeiten, ist reizvoll. Die Aufgabe von Führungskräften bleibt es, ein Gleichgewicht zwischen Produktivität und Mitarbeiterzufriedenheit herzustellen. Das ist nicht so trivial, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Der Angst, dass Produktivität verloren gehen kann, lässt sich mittlerweile ganz gut mit entsprechenden Tools und Routinen begegnen. Wesentlich schwerer wiegt, dass Beschäftigte durch extensive Homeoffice-Nutzung den Kontakt zum Team und Unternehmen verlieren. Die Wahrung der Unternehmenskultur sowie der Erhalt der Bindung und positiven Identifikation mit dem Unternehmen wird eine der größten Herausforderungen. Das Beispiel von Anna zeigt, wie fragil das Verhältnis sein kann, und Georg gefährdet die Mitarbeiterbeziehung aktiv durch sein in Software gegossenes Misstrauen.
2 Formen hybrider Arbeitsortmodelle
Grundsätzlich existieren 5 verschiedene Kategorien von Arbeitsorten, die in hybride Welten einbezogen werden können: der feste Büroarbeitsplatz, der flexible Büroarbeitsplatz (ggf. auch an anderen Standorten), Homeoffice, professionelle dritte Orte (z. B. Coworking-Spaces) und weitere Gelegenheitsorte (z. B. auf Reisen in der Bahn, im Café etc.). Neben den Orten spielt das Zeitmanagement eine wesentliche Rolle. Hier gibt es immer noch die festgeschriebene Arbeitszeit und darüber hinaus flexible Arbeitszeiten um eine Kernzeit herum sowie die vollkommen freie Zeiteinteilung. Jenseits der ausschließlichen Nutzung eines festen Büroarbeitsplatzes kommt die festgeschriebene Arbeitszeit schnell an ihre Grenzen. Flexibilität des Arbeitsortes funktioniert nicht ohne zeitliche Flexibilität.
Wenn wir über hybride Arbeitsortmodelle sprechen, spielen sie sich trotzdem noch zum großen Teil im Unternehmen ab. Und einiges ist tatsächlich schon länger gelebte Praxis in Unternehmen.
Office-First-Modell
Bei diesem Modell wird an den meisten Tagen der Woche oder des Monats im Firmengebäude gearbeitet. Homeoffice ist eine Ausnahme. Dadurch wird Erreichbarkeit von Mitarbeitern zu verlässlichen Zeiten und Synchronizität der Arbeit unterstützt, ohne das Bedürfnis nach Homeoffice komplett zu vernachlässigen. Insbesondere Führ...