Rz. 15
Damit der Gesamtsozialversicherungsbeitrag ordnungsgemäß erhoben werden kann, bedarf es der vorherigen Entscheidung über die Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Die Versicherungspflicht folgt für die Krankenversicherung aus § 5 SGB V, für die Pflegeversicherung aus § 20 SGB XI, für die Rentenversicherung aus § 1 SGB VI und für das Arbeitsförderungsrecht aus § 25 SGB III. Diese Entscheidung trifft die Krankenkasse als Einzugsstelle im sog. Einzugsstellenverfahren. In diesem Verfahren hat die Einzugsstelle eine vorrangige Zuständigkeit für 4 Versicherungszweige und insofern eine Monopolstellung, soweit es um die Entscheidung über die Versicherungspflicht und die Beitragshöhe von abhängig Beschäftigten geht. Sie ist allerdings kein Versicherungsträger.
Rz. 16
Ausweislich des Wortlauts entscheidet die Einzugsstelle auf Verlangen des Arbeitgebers durch einen schriftlichen oder elektronischen Bescheid. Das deutet darauf hin, dass das Einzugsstellenverfahren eines Antrags bedarf (§ 19 SGB X), denn das "Verlangen" ist sprachlich nichts anderes als eine Umschreibung für ein Antragsverfahren. Das Verlangen ist ein Antrag. Ungeachtet dessen versteht die Rechtsprechung die Vorschrift so, dass in diesem Verfahren Feststellungen nicht nur auf Antrag von Arbeitnehmern oder Arbeitgebern, sondern auch von Amts wegen getroffen werden können (vgl. BSG, Urteil v. 23.9.2003, B 12 RA 3/02 R; LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 8.6.2011, L 5 R 4078/10, Urteil v. 16.6.2010, L 5 KR 5179/08, Urteil v. 19.2.2008, L 11 KR 5528/07; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 15.8.2007, L 31 KR 128/07).
Rz. 17
Die Entscheidung umfasst auch die Beitragshöhe in den einzelnen Versicherungszweigen sowie die Verteilung der Beitragsanteile auf Arbeitgeber und Arbeitnehmer (BSG, Urteil v. 5.5.2010, B 12 KR 14/09 R m. w. N.). Sie ist für den Arbeitgeber bindend, wenn er gegen die Entscheidung der Einzugsstelle keinen Widerspruch einlegt, denn der Bescheid ist ein Verwaltungsakt (§ 31 SGB X).
Rz. 18
Das Einzugsstellenverfahren ist vom Anfrageverfahren des § 7a abzugrenzen (vgl. hierzu auch BGH, Urteil v. 19.1.2023, III ZR 234/21). Nach § 7a Abs. 1 Satz 1 können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung bereits ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet (fakultatives Statusfeststellungsverfahren). Gemäß § 7a Abs. 1 Satz 2 hat die Einzugsstelle einen Antrag nach § 7a Abs. 1 Satz 1 zu stellen, wenn sich aus der Meldung des Arbeitgebers (§ 28a) ergibt, dass der Beschäftigte Ehegatte, Lebenspartner oder Abkömmling des Arbeitgebers oder geschäftsführender Gesellschafter einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist (obligatorisches Statusfeststellungsverfahren). Über den Antrag entscheidet abweichend von § 28h Abs. 2 (Einzugsstelle) die Deutsche Rentenversicherung Bund (§ 7a Abs. 1 Satz 3). Mit dem fakultativen Statusfeststellungsverfahren des § 7a Abs. 1 Satz 1 soll eine schnelle und unkomplizierte Möglichkeit zur Klärung der Statusfrage erreicht, divergierende Entscheidungen verhindert (vgl. BT-Drs. 14/1855 S. 6) und den Beteiligten Rechtssicherheit verschafft werden. Die Prüfung der Statusfrage bzw. die Überprüfung der entsprechenden Beurteilung des Arbeit- oder Auftraggebers erfolgt nämlich regelmäßig erst im Nachhinein im Zuge von Betriebsprüfungen (§ 28p). Den Arbeit- oder Auftraggeber trifft daher das Risiko, bei fehlerhafter Statusbeurteilung ggf. Beiträge (im Rahmen der Verjährung, § 25) nachzahlen zu müssen. Dieses Risiko konnte er bis zum Inkrafttreten des § 7a nur durch einen Antrag auf eine Entscheidung der Einzugsstelle gemäß § 28h Abs. 2 im Einzugsstellenverfahren vermeiden.
Rz. 19
Weiterhin ist die nach § 28i Satz 5 zuständige Einzugsstelle verpflichtet, die Einhaltung der Arbeitsentgeltgrenzen bei geringfügig entlohnten Beschäftigten nach den §§ 8 und 8a zu prüfen (§ 28h Abs. 2 Satz 3).
Rz. 20
Das BSG hatte in zwei Verfahren am 15.7.2009 (B 12 R 1/08 R und B 12 R 5/08 R) die Auffassung vertreten, dass die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See nicht zum Erlass der Verwaltungsakte befugt ist, wenn wegen Überschreitens der Geringfügigkeitsgrenze Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung eintritt. Diese Befugnis wurde der DRV Knappschaft-Bahn-See nunmehr mit Abs. 2 Satz 4 ausdrücklich eingeräumt (vgl. Rz 2).
Rz. 21
Unter den Voraussetzungen des Abs. 2 Satz 2 und 3 hat die Einzugsstelle die Höhe des Arbeitsentgelts zu schätzen (zum historischen Hintergrund vgl. BSG, Urteil v. 16.12.2015, B 12 R 11/14 R). Die solchermaßen eingeräumte Schätzungsbefugnis soll sicherstellen, dass die Einzugsstelle auch dann Beiträge festsetzen kann, wenn der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Einreichung von Beitragsnachweisen nicht nachkommt. Die Schätzung ist keine Ermessensausübung, sonde...