2.1 Mittelbare Staatsverwaltung
Rz. 2
Die Sozialversicherung ist ein Teil staatlicher Daseinsvorsorge. Sie schließt bestimmte Personengruppen mit dem Ziel zusammen, die Belastungen im Fall der Krankheit, des Unfalls, der Erwerbsminderung und des Alters auf eine organisierte Gesamtheit zu verteilen (BVerfGE 11 S. 112; BSGE 6 S. 228). Die auf diesem Gebiet tätigen Versicherungsträger (§ 21 Abs. 2, § 21a Abs. 2, § 21b Abs. 2, § 22 Abs. 2, § 23 Abs. 2 SGB I) nehmen als organisatorisch verselbständigte Teile des Staatsganzen aus der staatlichen Gewalt abgeleitete und übertragene Aufgaben wahr. Sie gehören zur mittelbaren Staatsverwaltung (vgl. BVerfGE 39, S. 302, 314). Sie unterliegen der Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit mit den anderen Staatsorganen. Äußerungen zu Gesetzgebungsvorhaben haben deshalb ihren Adressaten ausschließlich in den dafür zuständigen verfassungsrechtlichen Institutionen. Als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts steht einem Versicherungsträger auch nicht das Grundrecht der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) zur Seite (vgl. BVerfGE 21 S. 362, 370).
Die Versicherungsträger sind Selbstverwaltungskörperschaften (§ 29 Abs. 1). Dabei bezeichnet der Begriff "Selbstverwaltung" die Art und Weise, in der die übertragenen Aufgaben erfüllt werden. Bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben genießen sie ein weitgehendes Maß an Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit (§ 29 Abs. 3). Die Aufsicht bildet die notwendige Ergänzung der Selbstverwaltung. Aus diesem Grund ist die Staatsaufsicht auch keine Besonderheit der Sozialversicherung. Sie besteht vielmehr auch in anderen Bereichen, in denen Selbstverwaltungskörperschaften öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnehmen(z. B. im Gemeinderecht).
Nicht zu leugnen ist das aus der unterschiedlichen Aufgabenstellung von Selbstverwaltung und staatlicher Aufsicht resultierende Spannungsverhältnis. Im Aufsichtsalltag herrscht jedoch die partnerschaftliche Kooperation vor. Aufsichtsmaßnahmen (§ 89 Abs. 1 Satz 2, 3) sind deshalb auf extreme Ausnahmesituationen beschränkt.
Die aus der Sozialstaatsklausel (Art. 20 Abs. 1 GG) herzuleitende Garantie der Sozialversicherung schließt eine institutionelle Garantie für die Versicherungsträger nicht ein (vgl. BVerfGE 21 S. 368; 36 S. 393; 39 S. 315). Auch die staatliche Aufsicht steht zur Disposition des einfachen Gesetzes.
2.2 Aufsichtszweck
Rz. 3
Die Aufsicht hat den primären Auftrag, den Schutz der Rechtsordnung gegen ein schädigendes Verhalten des Versicherungsträgers gegenüber dem einzelnen Versicherten oder gegenüber der Versichertengemeinschaft zu garantieren. Schließlich hat die Aufsicht darüber zu wachen, dass die Versicherungsträger ausschließlich die ihnen übertragenen Aufgaben wahrnehmen (§ 30 Abs. 1). Dies dient letztlich auch der Rechtssicherheit.
2.3 Aufsichtsverhältnis
Rz. 4
Die Staatsaufsicht dient ausschließlich dem öffentlichen Interesse. Sie hat die Bindung der Selbstverwaltungskörperschaften an die Staatsmacht zu gewährleisten. Deshalb ist das Aufsichtsverhältnis auch so gestaltet, dass Rechtsbeziehungen ausschließlich zwischen der Aufsichtsbehörde und dem Versicherungsträger bestehen.
Rz. 5
Grundsätzlich schreitet die Aufsichtbehörde nach pflichtgemäßer Ermessensausübung von Amts wegen ein, wenn ihr ein entsprechender Sachverhalt bekannt wird. Jedoch können auch Versicherte, aber auch Dritte, die nicht eine unmittelbare Verletzung ihrer Rechte durch einen Versicherungsträger geltend machen und sich zum Zwecke der aufsichtsbehördlichen Überprüfung einer Angelegenheit an die zuständige Aufsichtsbehörde wenden. Die Aufsichtsbeschwerden sind ihrer Rechtsnatur nach Petitionen (Art. 17 GG); sie sind an Formen und Fristen nicht gebunden. Selbst eine anonyme Anzeige stellt eine Anregung zu aufsichtsbehördlichem Tätigwerden dar. Wird eine Aufsichtsbeschwerde nicht von dem Betroffenen, sondern von einem Dritten erhoben, sollte sich die Aufsichtsbehörde die Bevollmächtigung (§ 13 SGB X) nachweisen lassen. Das gilt insbesondere, wenn das Sozialgeheimnis des Betroffenen zu besorgen ist.
Beschwerdeführer haben keinen Anspruch auf ein bestimmtes aufsichtsbehördliches Tätigwerden (BSGE 26 S. 237, 240). Es muss ihnen überlassen bleiben, vermeintliche Rechtsverstöße der Versicherungsträger ggf. gerichtlich zu verfolgen. Petenten können mithilfe der Aufsichtsbehörde ein bestimmtes Verhalten eines Versicherungsträgers nicht erzwingen, aber die Aufsichtsbeschwerde führt zu einem für den Beschwerdeführer kostenlosen Verfahren, in dem seine Angelegenheit umfassend überprüft wird. Die vom Versicherten angeregte aufsichtsbehördliche Überprüfung kann auch zu seiner Schlechterstellung führen, weil für die Aufsichtsbehörde das Verbot der reformatio in peius nicht gilt.
Beschwerdeführer sind vom Ergebnis der aufsichtsbehördlichen Prüfung und der Art der Erledigung zu unterrichten. Die Antwort der Aufsichtsbehörde ist aber kein Verwaltungsakt. Durch sie wird der Petent im Rechtssinne weder begünstigt noch beschwert. Ein Rechtsbehelf ist deshalb nicht gegeben.
Rz. 6
Bis zum rechtskräftigen Abschluss eines gerichtlichen...