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Arbeitslosengeld II wurde mit Wirkung zum 1.1.2005 durch das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 24.12.2003 (BGBl. I S. 2954) anstelle der bisherigen Arbeitslosenhilfe als Grundsicherungsleistung für hilfebedürftige erwerbsfähige Leistungsberechtigte eingeführt.
In der Zeit vom 1.1.2005 bis zum 31.12.2010 bestand für Bezieher von Arbeitslosengeld II bei Vorliegen der in § 3 Satz 1 Nr. 3a (i. d. F. bis 31.12.2010) genannten Voraussetzungen Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung, sodass insoweit Beitragszeiten gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 anzuerkennen sind. Soweit die Arbeitslosengeld II-Bezugszeit zeitlich vor Vollendung des 25. Lebensjahres eines Versicherten lag, sind bei Vorliegen der in § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 genannten Voraussetzungen zeitgleich Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit anzuerkennen (Umkehrschluss aus § 58 Abs. 1 Satz 3 i. d. F. bis 31.12.2022). Dies hat zur Folge, dass insgesamt eine beitragsgeminderte Zeit i. S. v. § 54 Abs. 3 Satz 1 vorliegt, für die bei der Rentenberechnung neben Entgeltpunkten für Beitragszeiten (§ 70 Abs. 1) noch Zuschläge an Entgeltpunkten für beitragsgeminderte Zeiten (§ 71 Abs. 2) zu berücksichtigen sind.
Durch das Haushaltsbegleitgesetz 2011 v. 9.12.2010 (BGBl. I S. 1885) wurde § 3 Satz 1 Nr. 3a (a. F.) und damit die Versicherungspflicht von Arbeitslosengeld II-Beziehern mit Wirkung zum 1.1.2011 aufgehoben und § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 (i. d. F. bis 31.12.2022) eingefügt. Dies hatte zur Folge, dass Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld II ab 1.1.2011 lediglich als Anrechnungszeiten berücksichtigt werden konnten.
Mit Wirkung zum 1.1.2023 wurde § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 insoweit geändert, als nach dieser Vorschrift nunmehr Bürgergeld-Bezugszeiten als Anrechnungszeiten anzuerkennen sind (vgl. Bürgergeld-Gesetz v. 16.12.2022, BGBl. I S. 2328). Durch § 252 Abs. 10 (i. d. F. ab 1.1.2023) wird sichergestellt, dass Zeiten des Bezuges von Arbeitslosengeld II vom 1.1.2011 bis zum 31.12.2022 weiterhin als Anrechnungszeiten berücksichtigt werden können.
Nach Abs. 10 (i. d. F. des Bürgergeldgesetzes v. 16.12.2022) sind Anrechnungszeiten bei Vorliegen der folgenden Voraussetzungen anzuerkennen:
- tatsächlicher Bezug von Arbeitslosengeld II in der Zeit vom 1.1.2011 bis zum 31.12.2022,
- kein Ausschlussgrund i. S. v. Abs. 10 Satz 2 Nr. 1 oder 2.
Das Arbeitslosengeld II umfasste nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II
- den Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 SGB II),
- Mehrbedarfe (z. B. für werdende Mütter oder Alleinerziehende, § 21 SGB II),
- Bedarfe für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II).
Voraussetzung für die Anerkennung einer Arbeitslosengeld II-Bezugszeit als Anrechnungszeit nach Abs. 10 ist der tatsächliche Bezug dieser Leistung. Bei Wegfall des Arbeitslosengeldes II für einen zurückliegenden Zeitraum (z. B. bei Aufhebung des Leistungsbescheides mit Wirkung für die Vergangenheit gemäß § 48 SGB X) endet die Anrechnungszeit (Abs. 10) ebenfalls mit dem tatsächlichen Wegfall der Leistung. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn der Anspruch auf Arbeitslosengeld II aufgrund der Bewilligung einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung (z. B. einer Rente wegen voller Erwerbsminderung) rückwirkend entfällt. Abweichend von diesem Grundsatz kann eine Anrechnungszeit nach Abs. 10 aufgrund der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X noch für den Zeitraum eines Rentenbezugs berücksichtigt werden, für den nach den Vorschriften des SGB X ein Erstattungsanspruch aus der Rentennachzahlung besteht.
Abs. 10 setzt nach seinem Wortlaut nicht voraus, dass der Arbeitslosengeld II-Bezieher zeitgleich arbeitslos i. S. v. § 138 SGB III gewesen sein musste. Die Berücksichtigung der Arbeitslosengeld II-Bezugszeit als Anrechnungszeit ist daher auch zulässig, wenn daneben eine Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung und einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 15 Std. (sog. 1-Euro-Job) ausgeübt worden ist.
Voraussetzung für die Anerkennung einer Anrechnungszeit wegen des Bezuges von Arbeitslosengeld II in der Zeit vom 1.1.2011 bis zum 31.12.2022 ist darüber hinaus, dass kein Ausschlussgrund i. S. v. Abs. 10 Satz 2 Nr. 1 oder 2 vorliegt; danach kommen folgende Ausschlussgründe in Betracht:
- Arbeitslosengeld II wurde nach Abs. 10 Satz 2 Nr. 1 nur darlehensweise (z. B. als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts in besonderen Härtefällen gemäß §§ 7 Abs. 5, 27 Abs. 3 SGB II an Auszubildende) oder ausschließlich als Leistung mit Zweckbindung nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB II (z. B. für die Erstausstattung der Wohnung) bezogen,
- Arbeitslosengeld II wurde nach Abs. 10 Satz 2 Nr. 2 vom 1.1.2011 bis zum 31.12.2012 in einer Zeit bezogen, in der der Leistungsbezieher versicherungspflichtig beschäftigt (§ 1) oder selbständig tätig (§ 2, § 4 Abs. 2) gewesen ist oder eine Leistung bezogen hatte, aufgrund der nach § 3 Satz 1 Nr. 3 Versicherungspflicht bestanden hat (gilt analog auch für eine Antragspflichtversicherung aufgrund eines Sozialleistungsbezugs nach § 4 Abs....