0 Rechtsentwicklung
Rz. 1
Die Vorschrift wurde durch das RRG 1992 v. 18.12.1989 (BGBl. I S. 2261) mit Wirkung zum 1.1.1992 eingefügt. Sie gilt seitdem unverändert.
1 Allgemeines
Rz. 2
§ 303 ersetzt Art. 2 § 19a ArNVG i. V. m. § 1266 RVO (Art. 2 § 18a AnVNG i. V. m. § 43 AVG) und schafft eine Besitzschutzregelung für diejenigen Fälle, in denen die versicherte Frau vor dem 1.1.1986 gestorben ist oder die Ehegatten bis zum 31.12.1988 eine wirksame Erklärung über die weitere Anwendung des alten, d. h. bis zum 31.12.1985 geltenden Hinterbliebenenrechts abgegeben haben. Diese Sonderregelung steht im Zusammenhang mit der Neuordnung des Hinterbliebenenrechts durch das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz (HEZG) v. 11.7.1985 (BGBl. I S. 1450), welches auf die Rechtsprechung des BVerfG v. 12.3.1975 (1 BvL 15/71) zurückzuführen ist und die Voraussetzungen für Witwen- und Witwerrenten vereinheitlichte. Der Gesetzgeber wollte zwar eine Gleichstellung von Witwen- und Witwerrente erreichen, aber andererseits den Ehegatten, deren Lebensplanung auf das frühere Recht ausgerichtet ist, nicht ohne Weiteres das neue System der Hinterbliebenenrente mit Einkommensanrechnung aufzwingen. § 303 muss als Sonderregelung zu §§ 46, 242a, 243 im Zusammenhang mit § 314 gesehen werden, der für die Fälle des § 303 eine Einkommensanrechnung (§ 97) ausdrücklich ausschließt. Für den Anspruch auf eine Witwenrente im Beitrittsgebiet (Tod der Versicherten vor dem 1.1.1986) gilt § 303 ebenfalls. Jedoch erfolgt dann eine Einkommensanrechnung gemäß § 314a. Satz 2 enthält eine Sonderregelung für geschiedene Ehemänner. Die praktische Bedeutung dieser Norm nimmt zwar kontinuierlich ab, ist aber durchaus noch gegeben.
2 Rechtspraxis
2.1 Anwendung des bis zum 31.12.1985 geltenden Rechts
Rz. 3
Das bis zum 31.12.1985 geltende Recht findet nur dann Anwendung, wenn die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung einer Hinterbliebenenrente erfüllt sind (vgl. Komm. zu § 46) und entweder die Versicherte vor dem 1.1.1986 verstorben ist oder aber die Ehegatten bis zum 31.12.1988 eine gemeinsame Erklärung über die Anwendung des "alten" Rechts abgegeben haben. Dies war nur möglich für Ehegatten, die beide vor dem 1.1.1936 geboren waren und soweit die Ehe vor dem 1.1.1986 geschlossen war. Die darin liegende Beschränkung des "Wahlrechts" auf über 50-jährige Ehegatten ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, Beschluss v. 12.2.1987, 1 BvR 79/86; BVerfG, Beschluss v. 10.6.1998, 1 BvR 1485/86). Eine solche Erklärung setzt Geschäftsfähigkeit voraus und ist bedingungsfeindlich und unwiderruflich. Lediglich in dem Fall, dass einer der Ehegatten zwischen dem 31.12.1985 und 31.12.1988 verstorben ist und die Ehegatten (noch) keine gemeinsame Erklärung abgegeben hatten, konnte der überlebende Ehegatte das Wahlrecht alleine ausüben (BSG, Urteil v. 13.11.1990, 1 RA 5/90). Soweit sich der Antragsteller auf die Abgabe der gemeinsamen Erklärung beruft, trägt er die volle Beweislast. Begehrt der Antragsteller die Anwendung neuen Rechts, ist der Rentenversicherungsträger beweispflichtig für die Abgabe einer (entgegenstehenden) Erklärung. Dabei kann er sich nicht auf eine verschlüsselte Eintragung in den Rentenkonten berufen (SG Stade, Urteil v. 10.5.2012, S 30 R 104/11). Jedoch kann sich nach dem Beweis des ersten Anscheins bei einer entsprechenden Datenspeicherung eine Tatbestandsvermutung für die Abgabe der gemeinsamen Erklärung ergeben (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 25.11.2020, L 3 R 15/18). Nach Ablauf der Frist kann die Erklärung nur dann noch nachgeholt werden, wenn die Voraussetzungen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs vorliegen. Jedoch dürfte der Nachweis, dass bei einer entsprechenden Beratung die gemeinsame Erklärung abgegeben worden sei, nur schwer zu erbringen sein.
2.2 Voraussetzungen für eine Witwerrente nach "altem" Recht
Rz. 4
Soweit das "alte" Hinterbliebenenrecht Anwendung findet, müssen für die Gewährung der Witwerrente die weiteren Voraussetzungen gemäß Satz 1 erfüllt sein. Dies ist der Fall, wenn die verstorbene Ehefrau überwiegend den Familienunterhalt im letzten wirtschaftlichen Dauerzustand vor dem Tode getragen hatte. Grundsätzlich bezieht sich der letzte wirtschaftliche Dauerzustand auf ein Jahr, im Regelfall das Jahr vor dem Tod des Versicherten (BSG, Urteil v. 16.3.2006, B 4 RA 15/05 R). Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Komm. zu § 243 verwiesen.
Rz. 5
Zur Ermittlung des Unterhalts ist zuerst das Familiengesamteinkommen zu bestimmen. Das setzt begrifflich voraus, dass die Ehegatten in Familiengemeinschaft, also in häuslicher und wirtschaftlicher Gemeinschaft, gelebt haben. Bei einem fortdauernden, endgültigen Getrenntleben liegt hingegen keine eheliche Gemeinschaft mehr vor, sodass ein Familienunterhalt nicht mehr besteht. Denn dieser umfasst die Bestreitung des gemeinsamen Bedarfs der einzelnen Familienmitglieder (BSG, Urteil v. 18.2.2010, B 4 AS 49/09 R). Zum Familiengesamteinkommen zählen sämtliche Leistungen, die in dem letzten wirtschaftlichen Dauerzustand dem Familienunterhalt zugeflossen sind. Die Leistungen für den Familienunterhalt können sich aus Barbezügen und...