Rz. 56
Vom Grundsatz nach Satz 1 macht Satz 2 eine Ausnahme. Danach kann sich eine einmal erteilte Befreiung auch auf eine andere versicherungspflichtige Tätigkeit erstrecken. Die Erstreckungswirkung setzt voraus:
- vorangegangene Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2,
- andere versicherungspflichtige Tätigkeit in ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt und
- Versorgungsträger sichert während der Tätigkeit einkommensbezogene Versorgungsanwartschaften.
Die Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.
Rz. 57
Von seiner Rechtsnatur her ist die Erstreckung in § 6 Abs. 5 Satz 2 kein eigenständiger Befreiungstatbestand; vielmehr setzt dies eine ursprüngliche Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 voraus und knüpft unmittelbar an diese an (BSG, Urteil v. 31.10.2012, B 12 R 8/10 R).
Rz. 58
Sinn des Abs. 5 Satz 2 ist die Gewährleistung, dass eine vorübergehend berufsfremde Tätigkeit nicht zu einem Wechsel des Alterssicherungssystems führt. Insbesondere für die Zeit des Wehrdienstes kommt diese Regelung zur Anwendung (so die ausdrücklichen gesetzgeberischen Erwägungen, vgl. BT-Drs. 11/4124 S. 152).
Rz. 59
Das Merkmal "im Voraus zeitlich begrenzt" kann nach den gesetzlichen Vorgaben in 2 Fallgestaltungen erfüllt sein, entweder vertraglich oder aus der Eigenart der Tätigkeit heraus. Die zeitliche Begrenzung muss im Voraus feststehen und darf sich nicht erst später ergeben.
Rz. 60
Sofern sich eine im Voraus zeitlich befristete Tätigkeit aus deren Eigenart heraus ergibt, ist auf die Merkmale der ausgeübten Beschäftigung oder Tätigkeit abzustellen. Die zeitliche Befristung kann sich aus einer Projektbezogenheit ergeben oder auch aus einem Wahlamt. Saisonarbeiter – wie Erntehelfer – üben ebenfalls eine Tätigkeit aus, die ihrer Eigenart nach im Voraus zeitlich befristet ist.
Rz. 61
Eine vertraglich vereinbarte, im Voraus zeitlich begrenzte Tätigkeit ergibt sich regelmäßig aus einer Befristung der Tätigkeit unter Beachtung der Regelungen des TzBfG. Dabei gibt das Gesetz selbst keine Vorgaben zur Dauer dieser Tätigkeit vor, innerhalb derer Zeitgrenze eine Erstreckung noch möglich ist. Die zeitlich zulässige Dauer kann nicht starr vorgegeben werden, sondern ist an den Grundsätzen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes auszurichten. Eine Befristung mit Rechtsgrund ist dabei immer auch beachtlich bei der Erstreckungswirkung. So regelt § 14 Abs. 1 Satz 2 TzBfG die sachlichen Gründe: so z. B. betrieblicher Bedarf an der Arbeitsleistung besteht nur vorübergehend (Nr. 1), Vertretung eines anderen Arbeitnehmers (Nr. 3), Erprobung (Nr. 5) u. a. In den Fällen, in denen das TzBfG eine Befristung ohne sachlichen Grund anerkennt (§ 14 Abs. 2 TzBfG), ist regelmäßig eine Befristung eines Arbeitsvertrages bis zur Dauer von 2 Jahren zulässig. Diese Grenze akzeptiert die Deutsche Rentenversicherung auch als zeitliche Grenze i. S. der Erstreckungswirkung (GRA der DRV zu § 6 SGB VI, Stand: 8.5.2023, Anm. 2.6.2.2).
Rz. 62
Weitere Voraussetzung der Erstreckung ist, dass während der Tätigkeit einkommensbezogene Versorgungsanwartschaften in dem zuständigen Versorgungswerk gewährleistet sind. Aus der Tätigkeit, auf die sich die Erstreckung beziehen soll, müssen daher satzungsgemäß genauso hohe Beiträge an die berufsständische Versorgungseinrichtung gezahlt werden, wie sie im Fall der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wären. Dies ist durch eine entsprechende Bestätigung des Versorgungswerkes nachzuweisen.
Rz. 63
Die Feststellung der Erstreckung durch einen feststellenden Verwaltungsakt erfolgt regelmäßig auf Antrag des Betroffenen.
Rz. 64
Das Begehren auf Erstreckung kann regelmäßig in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage geltend gemacht werden; vgl. § 54 Abs. 1 Satz 1, § 55 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 56 SGG (BSG, Urteil v. 16.6.2021, B 5 RE 4/20 R, Rz. 17).
2.7.4.2.1 Formularbescheide
Rz. 65
Formularbescheide eines bundesweit zuständigen Versicherungsträgers unterliegen der umfassenden revisionsgerichtlichen Auslegungsbefugnis; auch ein solcher Befreiungsbescheid bezieht sich auf die konkret ausgeübte Beschäftigung (BSG, Urteil v. 13.12.2018, B 5 RE 3/18 R; BSG, Urteil v. 13.12.2018, B 5 RE 1/18 R, mit Anm. in SozSichplus 2019, Nr. 2, 6). Außerdem hat das BSG auch festgestellt, dass Anhaltspunkte für ein schützenswertes Vertrauen in den uneingeschränkten Fortbestand der ursprünglich erteilten Befreiung von der Versicherungspflicht nicht ersichtlich sind (BSG, Urteil v. 13.12.2018, B 5 RE 1/18 R, Rz. 68; BSG, Urteil v. 13.12.2018, B 5 RE 3/18 R, Rz. 48, jeweils in Fortführung zu BSG, Urteil v. 31.10.2012, B 12 R 5/10 R). Der Befreiungsbescheid wirkt zudem nur für den Zuständigkeitsbereich des Versicherungsträgers. Abs. 5 Satz 2 soll gewährleisten, dass eine vorübergehend berufsfremde Tätigkeit nicht zu einem Wechsel des Alterssicherungssystems führt. Insbesondere für die Zeit des Wehrdienstes kommt diese Regelung zur Anwendung (so die ausdrücklichen gesetzgeberischen Erwägungen, vgl.: BT-D...