2.1 Verwaltungsakt als Zweckbegriff

 

Rz. 3

Der Begriff des VA ist ein zweckorientierter Rechtsbegriff.

 

Rz. 4

Der VA und sein Regelungsinhalt konkretisiert sich i. d. R. in schriftlichen Bescheiden, ohne dass dies jedoch zwingend erforderlich wäre (§ 33 Abs. 2).Verwaltungsakte können auch mündlich oder auf sonstige Weise (z. B. durch Zeichen) ergehen. Ausdrückliche gesetzliche Regelungen im materiellen Recht, die die Entscheidung durch VA vorschreiben oder zulassen, sind jedoch eher selten. Die Vorschriften verwenden entweder den Begriff des Bescheides oder sprechen von der von einem Träger zu treffenden Entscheidung, was die Form an sich offen lässt.

 

Rz. 5

Die Frage des Vorliegens eines VA hat Auswirkungen auf den möglichen Rechtsbehelf des Widerspruchs (§§ 78, 83 SGG) oder in Ausnahmefällen (§ 78 Abs. 1 Satz 2 SGG) der Klage, die richtigen und zulässigen Klagearten (§ 54 SGG) und den Rechtsweg. Auch der mangels Ermächtigungsgrundlage unzulässig erlassene rechtswidrige VA und der nur in die Form eines Bescheides gekleidete Nicht-VA (nichtmaterieller Verwaltungsakt, vgl. Erfmeyer, DÖV 1996 S. 629; BSG, Urteil v. 20.12.2001, B 4 RA 50/01 R) ermöglichen einen Rechtsbehelf. Der gerichtliche Rechtsschutz ist heute nicht mehr zwingend vom Vorliegen eines VA abhängig (vgl. § 54 Abs. 5 SGG, unmittelbare Klage auf Leistung). Wegen der umfassenden Rechtsschutzgarantie in Art. 19 Abs. 2 GG hat der VA an Bedeutung für den Zugang zur gerichtlichen Überprüfbarkeit verloren.

 

Rz. 6

Das Vorliegen eines VA hat auch Bedeutung für die Frage, ob ein Verwaltungsverfahren und mit welchem Inhalt abgeschlossen worden und bestandskräftig (§ 39 Abs. 2; § 77 SGG) geworden ist und ob es zur Durchbrechung der Bestandskraft erforderlich ist, diesen VA förmlich aufzuheben (vgl. §§ 44ff.). Insbesondere der Leistungen gewährende VA wird für die Dauer seines Bestandes zu einem eigenständigen Rechtsgrund für den Anspruch und das Behalten-Dürfen der Leistung, unabhängig vom Gesetz (vgl. § 40 SGB I).

 

Rz. 7

Der VA ist auch Titel für die Zwangsvollstreckung, wenn sein Inhalt auf eine bestimmte Verpflichtung gerichtet ist; z. B. bei Beitrags- oder Rückforderungsbescheiden nach § 50 Abs. 3. Diese VA als Titel können von der erlassenden Behörde selbst oder nach Maßgabe des § 66 vollstreckt werden.

 

Rz. 8

Der VA in Form einer Allgemeinverfügung (Satz 2) hat in der Sozialversicherung eine nur geringe Bedeutung. Vom BSG (Beschlüsse v. 14.6.1995, 3 RK 21/94, USK 95167, und 3 RK 23/94, SozSich 1995 S. 274) wurde für Festsetzungen nach § 36 SGB V durch die Spitzenverbände (jetzt: Spitzenverband Bund der Krankenkassen) das Vorliegen einer Allgemeinverfügung in Erwägung gezogen (so auch BT-Drs. 11/3480 S. 54). Nachdem das BVerfG (BVerfGE 106 S. 275) die Festsetzung von Festbeträgen für Arzneimittel gemäß § 35 SGB V als Allgemeinverfügung gewertet hat, ist auch die Festsetzung von Festbeträgen für Hilfsmittel gemäß § 36 SGB V eine Allgemein verfügung. Der Sache nach ist auch die Errichtungsgenehmigung oder Schließungsverfügung einer Krankenkasse als Allgemeinverfügung anzusehen, da sie deren Eigenschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts begründet oder beendet. Gleiches gilt für die Festlegung von Einzelheiten des Risikostrukturausgleichs durch das Bundesversicherungsamt (BSG, Urteil v. 20.5.2014, B 1 KR 5/14 R). Massenverwaltungsakte (z. B. Rentenanpassungsmitteilungen) sind hingegen keine Allgemeinverfügungen, da sie konkrete und individuelle Regelungen gegenüber jedem einzelnen Adressaten enthalten.

2.2 Abgrenzungen und Einzelmerkmale

2.2.1 Hoheitliche Maßnahmen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts

 

Rz. 9

Die Begriffsmerkmale hoheitliche Maßnahme oder Entscheidung einer Behörde auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts überschneiden sich, weil einseitig mögliche Regelungen gegenüber einem Dritten nur von Trägern hoheitlicher Gewalt, also Behörden, und damit auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts möglich sind und mit der Übertragung einer solchen Befugnis (z. B. bei Beliehenen) die Behördeneigenschaft entsteht. Insoweit ist das Merkmal "auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts" lediglich als Abgrenzung zu der privatrechtlichen fiskalischen Tätigkeit der Behörden zu verstehen. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass die Geltung des SGB X ohne­hin auf die Tätigkeit "auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts" (§ 1) beschränkt ist. Die Rechtsprechung knüpft bei der Frage der Abgrenzung von öffentlichem Recht und Privatrecht an das jeweilige Rechtsverhältnis an, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (BSG, Urteil v. 1.4.2009, B 14 SF 1/08 R; Engelmann, in: v. Wulffen, SGB X, § 31 Rz. 14). Entscheidend für die Abgrenzung ist, ob der Schwerpunkt der Streitsache vom öffentlichen Recht oder Privatrecht geprägt ist (BSG, Urteil v. 3.8.2011, B 11 SF 1/10 R). In Betracht kommt aber auch eine gesetzliche Bestimmung wie sie in § 69 SGB V enthalten ist. Verträge zwischen öffentlich-rechtlichen Leistungsträgern und privaten Leistungserbringern sind gemäß § 69 SGB V dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes (GemSOGB, BGHZE 97 S. 312), die ein...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Personal Office Platin enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge