Rz. 11
Die Begründungspflicht und deren Umfang wird für Ermessensentscheidungen dahin gehend erweitert, als auch die Gesichtspunkte erkennbar sein müssen, die für die Ermessensentscheidung maßgeblich waren. Dies setzt zunächst – auch in der Begründung – die Feststellung aller Tatsachen für eine mögliche Ermessensentscheidung voraus.
Rz. 12
Hat die Behörde ein Entschließungsermessen in dem Sinn, dass sie sich nach Ermessen für oder gegen den Erlass des VA entscheiden kann, gehört zur formellen Begründung insbesondere auch, dass sich die Behörde des Vorliegens einer notwendigen Ermessensentscheidung überhaupt bewusst war, was daher aus der Begründung erkennbar sein muss. Dabei ist auf die Besonderheiten des Einzelfalles einzugehen. Der Gebrauch von Leerformularen reicht dabei nicht aus (Sächs. LSG, Beschluss v. 28.4.2008, L 3 AS 110/08 AS ER). Geht die Behörde von einer Ermessensreduzierung auf Null aus, so hat sie dafür die Gründe anzugeben (Engelmann, a.a.O., § 35 Rz. 7). Dies kommt insbesondere bei der Rückforderung von Leistungen vom Bösgläubigen vor. Eine Ermessensreduzierung auf Null setzt voraus, dass nach dem festgestellten Sachverhalt ausgeschlossen ist, dass Umstände vorliegen, die eine andersartige Entscheidung zuließen (BSG, Urteil v. 11.4.2002, B 3 P 8/01 R). In solchen Fällen sind Ausführungen zu Ermessensüberlegungen nicht erforderlich.
Fraglich ist, ob eine Begründungspflicht nach Satz 3 in Fällen eines der Behörde eingeräumten Beurteilungsspielraums anzunehmen ist. Abs. 1 Satz 3 ist aber auf unbestimmte Rechtsbegriffe, bei denen die Behörde einen Beurteilungsspielraum hat, auch nicht entsprechend anzuwenden (BSGE 74 S. 70). Es handelt sich vielmehr um die Begründung der Voraussetzungen eines Tatbestandsmerkmales; Abs. 1 Satz 2 findet Anwendung. Die gerichtliche Kontrolle ist bei Vorliegens eines Beurteilungsspielraumes der Behörde auf die Überprüfung beschränkt, ob die Behörde den Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt hat, von welcher Einschätzungsprärogative sie ausgegangen ist und welche Beurteilungsmaßstäbe sie angewandt hat. Im Hinblick auf diese eingeschränkte Kontrolle ist eine eingehende Begründung erforderlich. Dabei kann sich die Verwaltung auf die Angabe der maßgebend tragenden Erwägungen beschränken und auf Gesichtspunkte und Umstände, die auf der Hand liegen oder dem betroffenen bekannt sind, verzichten (Engelmann, a.a.O., § 35 Rz. 11 f.).
Rz. 13
Ist für einen bestimmten Fall die Entscheidung zum Erlass eines VA für den Regelfall vorgegeben (Soll-Vorschrift auf der Rechtsfolgenseite, z. B. bei § 48 Abs. 1 Satz 2), liegt insoweit kein Ermessensspielraum vor. Jedoch ist es nach der Rechtsprechung erforderlich, zu begründen, ob ein atypischer Fall vorliegt. In diesem Fall ist eine Ermessensentscheidung notwendig. Die Entscheidung, ob ein atypischer Fall vorliegt, liegt nicht im Ermessen der Behörde. Obwohl materiell-rechtlich Ermessensentscheidungen gerichtlich nur hinsichtlich der Ermessensüberschreitung und des Ermessensfehlgebrauchs zu Lasten des Betroffenen überprüfbar sind (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG), führt häufiger der besondere Begründungszwang einer Ermessensentscheidung zur verfahrensmäßigen Rechtswidrigkeit und Aufhebung des VA. Eine ausführliche Ermessensbegründung kann daher einem solchen Begründungsmangel vorbeugen, der aber nach der Änderung von § 41 Abs. 2 auch noch im laufenden Gerichtsverfahren geheilt werden kann.
Rz. 14
Die Darlegung der Gründe und Gesichtspunkte ist insbesondere für die Fälle der Leistungsgewährung nach Ermessen von Bedeutung, da hier die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung auf die Überprüfung eines Ermessensfehlgebrauchs durch Überschreiten oder zweckwidrigen Gebrauch des Ermessens begrenzt ist (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Bei der Ablehnung einer in das Ermessen gestellten Leistung oder der Gewährung einer von mehreren möglichen Leistungen (z. B. Reha-Leistung in einer bestimmten Form und Einrichtung), die von dem Berechtigten aber so oder dort nicht gewollt ist, bedarf es daher der Darlegung der Gründe, die gegen oder für die konkrete Leistungsgewährung sprechen.