Gebühr bei Rücknahme eines Antrags auf verbindliche Auskunft
Hintergrund: Rücknahme eines Antrags auf verbindliche Auskunft
Die X-KG hat ihren Sitz im Inland. Da mehrere ihrer Gesellschafter die Begründung eines Zweitwohnsitzes im Ausland planten, beantragte die KG beim FA die Erteilung einer verbindlichen Auskunft insbesondere zur steuerlichen Entstrickung ihrer Beteiligungen.
Aufgrund des Antrags kam es zu umfangreichen rechtlichen Prüfungen durch das FA, das Landesamt für Steuern und das Landesfinanzministerium. Dabei wurden auch alternative Sachverhaltsgestaltungen diskutiert. Die Finanzverwaltung blieb jedoch dabei, dass der Antrag auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft abzulehnen sei.
Die KG nahm darauf ihren Antrag auf Erteilung der verbindlichen Auskunft zurück, da die Gesellschafter inzwischen von der Verlagerung ihres Wohnsitzes in das Ausland Abstand genommen hatten.
Das FA setzte für die Bearbeitung des Auskunftsersuchens nach § 89 Abs. 3 bis 7 AO eine Gebühr von 98.762 EUR fest. Dabei ging das FA von einem Gegenstandswert von 30 Mio. EUR (Höchstbetrag) aus, der grundsätzlich eine Gebühr von 109.736 EUR begründet hätte. Wegen der Rücknahme des Antrags sei es jedoch – ausgehend von dem bisherigen Bearbeitungsaufwand von 156 Stunden bei weiter erforderlichen 10 bis 15 Stunden – sachgerecht, die Gebühr um 10 % auf 98.762 EUR zu ermäßigen (§ 89 Abs. 7 Satz 2 AO; AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2).
Die hiergegen von der KG erhobene Klage, die Gebühr auf 15.600 EUR herabzusetzen, hatte Erfolg. Das FG meinte, durch die Rücknahme des Antrags sei der Gebührenzweck der Vorteilsabschöpfung entfallen, so dass es nur noch auf den Gebührenzweck der Kostendeckung ankomme. Dies führe unter Berücksichtigung von AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2 zu einer Ermessensreduzierung auf Null in der Weise, dass lediglich die Zeitgebühr in Höhe von 15.600 EUR abzurechnen sei (156 Stunden x 100 EUR pro Stunde).
Entscheidung: Ansatz der reduzierten Wertgebühr
Die Revision des FA ist begründet. Der BFH hob das FG-Urteil auf und wies die Klage ab. Der angefochtene Bescheid, in dem das FA die Gebühr auf 98.762 EUR festgesetzt hat, ist frei von Ermessensfehlern.
Keine Begrenzung der Gebühr auf die Zeitgebühr
AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2 schreibt (lediglich) vor, den bis zur Rücknahme des Antrags angefallenen Bearbeitungsaufwand "angemessen" zu berücksichtigen und die Gebühr "anteilig" zu ermäßigen. Weitere Vorgaben zur konkreten Berechnung der Ermäßigung enthält die Regelung nicht. Ihr kann somit keine generelle Begrenzung auf die Zeitgebühr entnommen werden. Vielmehr trifft die Regelung auch bei einer proportionalen Reduzierung der Wertgebühr im Verhältnis des bisherigen zu dem noch ausstehenden Bearbeitungsaufwand zu. Im Übrigen bezieht sich die Ermäßigung nach § 89 Abs. 7 Satz 2 AO auf "die Gebühr" (ebenso AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2). Damit kann als Ausgangspunkt nur die Gebühr gemeint sein, die sich zuvor aus § 89 Abs. 4 bis 6 AO ergeben hat. Ein grundsätzlicher Wechsel von der Wert- zur Zeitgebühr (oder umgekehrt) ist dagegen nicht vorgesehen.
Keine Ermessensreduzierung auf Null
Die vom Gesetzgeber verfolgten Gebührenzwecke führen ebenfalls nicht zu der vom FG angenommenen Ermessensreduzierung auf Null. Der Gebührenpflicht liegen die zwei Gebührenzwecke der Kostendeckung für die Bearbeitung des Antrags und der Abschöpfung des vom Antragsteller erlangten Vorteils zugrunde (BFH v. 22.4.2015, IV R 13/12, BStBl II 2015, S. 989).
Obwohl der Gesichtspunkt der Vorteilsabschöpfung bei der Rücknahme des Antrags nicht in vollem Umfang zum Tragen kommt, bedeutet dies nicht, bei der Gebührenerhebung nur noch die Kostendeckungsfunktion zu berücksichtigen (vgl. auch BFH v. 9.3.2016, I R 66/14, BStBl II 2016, S. 706). Denn wegen der Rücknahme des Antrags kommt es zwar weder zu der angestrebten Bindungswirkung einer positiven Auskunft noch zu einem rechtsbehelfsfähigen negativen Bescheid. Für den Antragsteller bleibt aber auch im Fall einer sich abzeichnenden Negativauskunft der Vorteil der Vermeidung einer drohenden Steuerbelastung, indem er den geplanten Sachverhalt nicht verwirklicht (vgl. BFH v. 22.4.2015, IV R 13/12, BStBl II 2015, S. 989). Dieser Vorteil verstärkt sich im Streitfall dadurch, dass im Rahmen des Auskunftsverfahrens auch alternative Sachverhaltsgestaltungen diskutiert wurden.
Berechnung der Wertgebühr
Das FA hat für die Gebührenermäßigung nach § 89 Abs. 7 Satz 2 AO als Ausgangspunkt zutreffend auf die Wertgebühr nach § 89 Abs. 4 AO abgestellt. Die Voraussetzungen für die Erhebung einer Zeitgebühr nach § 89 Abs. 6 AO waren nicht erfüllt. Die vom FA vorgenommene Kürzung nach dem Verhältnis des bisherigen zu dem noch ausstehenden Bearbeitungsaufwand ist mit den Vorgaben der ermessenslenkenden AEAO zu § 89 Nr. 4.5.2 und den Gebührenzwecken vereinbar. Dem bisher angefallenen Bearbeitungsaufwand von 156 Stunden stand ein noch zu erwartender Bearbeitungsaufwand von 10 bis 15 Stunden gegenübersteht. Das führt zu der vom FA angenommenen Reduzierung der Wertgebühr um 10 %.
Hinweis: Kein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip
Das FA hat durch seine Ermessensausübung nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das daraus abgeleitete Äquivalenzprinzip verstoßen, nach dem Gebühren in keinem Missverhältnis zu der von der öffentlichen Hand gebotenen Leistung stehen dürfen (BFH v. 30.3.2011, I R 61/10, BStBl II 2011, S. 536). Dass die auf 98.762 EUR ermäßigte Wertgebühr das 6,3-fache der reinen Zeitgebühr beträgt, reicht hierfür nicht aus.
Das FA hat auch zutreffend berücksichtigt, dass auch bei einer Negativauskunft grundsätzlich die volle Wertgebühr angefallen wäre (BFH v. 22.4.2015, IV R 13/12, BStBl II 2015, S. 989; a.A. Seer in Tipke/Kruse, AO, § 89 AO Rz 70) und trotz Antragsrücknahme der Gebührenzweck der Vorteilsabschöpfung nicht vollständig entfallen ist.
BFH Urteil vom 04.05.2022 - I R 46/18 (veröffentlicht am 25.08.2022)
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