Rz. 7
Die Wirksamkeit des VA gilt für den bekannt gegebenen Inhalt. Weicht also die Urschrift des VA in den Verwaltungsvorgängen der Behörde von dem bekannt gegebenen Inhalt ab, so ist nicht die Urschrift maßgeblich, sondern die Fassung des VA, die bekannt gegeben wurde. Auf einen abweichenden Willen der Behörde kommt es daher auch dann nicht an, wenn dieser in den Akten ausdrücklich dokumentiert wurde.
Zu dem wirksamen Inhalt gehören der Verfügungssatz und auch die Nebenbestimmungen (vgl. Komm. zu § 32). Eine darin bestimmte Einschränkung, wie z. B. eine Bedingung oder Befristung, gehört mit zu dem Regelungsinhalt und begrenzt dadurch die inhaltliche Wirksamkeit des VA, die auch in zeitlicher Hinsicht (als rückwirkende oder erst zukünftige Regelung) vom Zeitpunkt der Bekanntgabe abweichen kann. Da nur der bekannt gegebene Inhalt wirksam wird, kommt es auf die Richtigkeit und Rechtmäßigkeit nicht an, so dass auch ein formell und/oder materiell rechtswidriger VA mit diesem Inhalt wirksam wird. Der unklare Inhalt eines VA kann nach den allgemeinen Vorschriften über die Auslegung von Willenserklärungen ausgelegt werden, wobei auch die Begründung herangezogen werden kann.
Rz. 8
Die inhaltliche Wirksamkeit eines VA bezieht sich nur auf den Verfügungssatz, nicht jedoch auf die Begründung oder die darin genannten oder vom Gesetz geforderten Tatsachen oder die für die Höhe einer Leistung entscheidenden Berechnungselemente. Die Bewilligung einer Zeitrente wegen Erwerbsminderung bindet daher nicht hinsichtlich des Merkmals der Erwerbsminderung für die Folgezeit. Die Bewilligung einer Behandlungsmaßnahme für einen bestimmten Zeitraum bindet nicht auch für die Folgezeiträume. Die Bewilligung einer Leistung bindet nicht zugleich im Sinne eines Stammrechts auch für Folgezeiten hinsichtlich des gleichen Anspruchs, sondern lässt eine erneute Prüfung und Beurteilung des Stammrechts zu (BSG, Urteil v. 8.12.1994, 11 RAr 41/94).
Auch die rechtliche Bewertung eines Sachverhaltes durch eine Behörde nimmt nicht an der Bindungswirkung zu Lasten einer anderen Behörde teil, so dass es einer besonderen gesetzlichen Regelung bedarf, wenn der Gesetzgeber zur Vermeidung divergierender Entscheidungen insoweit eine Feststellungswirkung auch gegenüber anderen Behörden erreichen will (LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 29.10.2009, L 5 KR 109/08). Von einer Feststellungswirkung spricht man, wenn die sonstigen Behörden den VA nicht nur als Tatsache hinnehmen, sondern auch die vom VA getroffenen Regelungen der eigenen Entscheidung zugrunde legen müssen. So wird etwa in § 336 SGB III geregelt, dass die Bundesagentur für Arbeit leistungsrechtlich an Entscheidungen des Rentenversicherungsträgers bzw. der Einzugsstelle über die Versicherungspflicht gebunden ist. Vor dieser zum 1.1.2005 wirksam gewordenen gesetzlichen Neuregelung war die Bundesagentur für Arbeit bei Entscheidungen über Leistungsansprüche nicht an die Entscheidungen des Rentenversicherungsträgers über die Versicherungspflicht gebunden und sie hatte in eigener Verantwortung zu prüfen, ob das anspruchsbegründende Tatbestandsmerkmal "versicherungspflichtige Beschäftigung" erfüllt ist (BSG, Urteil v. 6.2.1992, 7 RAr 134/90). Dies konnte dazu führen, dass der Rentenversicherungsträger bei einer Betriebsprüfung die Versicherungspflicht feststellte und die Bundesagentur für Arbeit nachfolgend gleichwohl Leistungen der Arbeitsförderung mit der Begründung ablehnte, diese Versicherungspflicht habe nicht bestanden. Die gesetzliche Neuregelung in § 336 SGB III soll dies verhindern.
Rz. 8a
In Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage kann eine steuerliche Festsetzung grundsätzlich keine Tatbestandswirkung für einen sozialversicherungsrechtlichen Tatbestand entfalten (LSG Schleswig-Holstein, Urteil v. 29.10.2009, L 5 KR 109/08 zu § 16 SGB IV). Allein die Aussage in § 16 SGB IV, dass das Gesamteinkommen die Summe der Einkünfte i. S. d. Einkommenssteuerrechts ist, sagt nichts darüber aus, dass die Festsetzungen des Finanzamtes auch in der personellen Zuordnung des ermittelten Einkommens im sozialversicherungsrechtlichen Zusammenhang verbindlich sind, so dass Raum für eine abweichende sozialversicherungsrechtliche Zuordnung der Einkünfte besteht, wenn Tatsachen darauf hindeuten, dass die personelle Zuordnung der Einkünfte durch das Finanzamt nicht den tatsächlichen Verhältnissen entspricht (vgl. LSG Schleswig-Holstein, a. a. O., zur Frage der Rechtmäßigkeit einer Familienversicherung i. S. d. SGB V, wenn Einnahmen aus einem Gewerbebetrieb durch das Finanzamt fälschlich dem bisher Familienversicherten zugeordnet worden sind).
Rz. 9
Von der Feststellungswirkung wird herkömmlich die Tatbestandswirkung des VA unterschieden. Die Tatbestandswirkung bedeutet, dass die mit dem VA getroffene Regelung in einem anderen Verwaltungsverfahren ohne Rücksicht auf ihre Rechtmäßigkeit wie eine unbestrittene Tatsache zu beachten ist (BSG, Urteil v.12.12.1991, 7 Rar 24/91, SozR 2200 § 176c Nr. 3). Eine solche Tatbestandswirkun...