Rz. 9
Abs. 1 fungiert als Rechtsgrundlage für die Übermittlung von Sozialdaten durch die Stellen nach dem SGB I über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinaus innerhalb der Europäischen Union (EU) sowie in gleichgestellte Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum und in die Schweiz nach § 35 Abs. 7 SGB I (vgl. die Komm. zu § 35 SGB I).
Zur EU gehören folgende Mitgliedstaaten:
Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern.
Vertragsstaaten des Abkommens über den EWR sind:
Island, Liechtenstein und Norwegen.
2.1.1 Zulässigkeitsvoraussetzungen nach Abs. 1 Satz 1
Rz. 10
Gemäß Nr. 1 ist eine Übermittlung von Sozialdaten zulässig, soweit dies zur Erfüllung einer gesetzlichen Aufgabe einer in § 35 SGB I genannten übermittelnden Stelle oder zur Erfüllung einer solchen Aufgabe von einer ausländischen Stelle erforderlich ist.
Rz. 11
Die Datenübermittlung nach Nr. 1 entspricht im Wesentlichen der Regelung des § 69 Abs. 1 Nr. 1. Während die deutschen Sozialleistungsträger in § 35 i. V. m. §§ 18 ff. SGB I abschließend aufgezählt sind (vgl. Komm. zu § 35 SGB I), gibt es in anderen EU/EWR-Mitgliedstaaten zum Teil sehr unterschiedliche Organisationsstrukturen. Aus diesem Grund kommt es beim grenzüberschreitenden Datenverkehr allein auf die Funktionsgleichheit zwischen deutschen und ausländischen Stellen an. Liegt eine solche Funktionsgleichheit vor, ist eine Übermittlung von Sozialdaten an die ausländische Stelle in dem gleichen Umfang und unter den gleichen Voraussetzungen wie an einen deutschen Sozialleistungsträger zulässig. Näheres zu diesen Voraussetzungen vgl. die Komm. zu § 69.
Rz. 12
Nr. 2 knüpft eine zulässige Datenübermittlung an die Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 oder des § 70.
Eine Übermittlung ist nach Nr. 2 damit in 3 Fallgestaltungen zulässig:
In allen Fällen müssen die Aufgaben der ausländischen Stelle denen in diesen genannten Vorschriften entsprechen. Auch hier kommt es wie bei Nr. 1 nur auf die Funktionsgleichheit zwischen deutschen und ausländischen Stellen an.
Rz. 13
Nr. 3 lässt eine Datenübermittlung in Unterhalts- und Versorgungsausgleichsangelegenheiten zu, wenn die Voraussetzungen des § 74 vorliegen und die gerichtlich geltend gemachten Ansprüche oder die Rechte des Empfängers denen in dieser Vorschrift genannten entsprechen.
Rz. 14
Nr. 4 regelt die Zulässigkeit der Übermittlung für die Durchführung eines Strafverfahrens, wenn die Voraussetzungen des § 73 vorliegen (vgl. Komm. zu § 73). Ausdrücklich klargestellt wird, dass für die erforderliche richterliche Anordnung ein inländisches (also deutsches) Gericht zuständig ist.
Die Regelung in Nr. 4 entspricht der bis zum 24.5.2018 in Abs. 3 Nr. 3 enthaltenen Regelung.
2.1.2 Einschränkung der Zulässigkeit (Abs. 1 Satz 2)
Rz. 15
Mit Wirkung zum 26.7.2012 wurde Abs. 1 um einen Satz 2 ergänzt, der eine nach Satz 1 zulässige Übermittlung untersagt, soweit diese den in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union enthaltenen Grundsätze entgegenstehen würde.
Im Wesentlichen handelt es sich bei den dort niedergelegten Grundsätzen um
- die Anerkennung der Rechte, Freiheiten und Grundsätze der Charta der Grundrechte der Europäischen Union,
- den Beitritt der Union zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und
- die Feststellung, dass die Grundrechte, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlegungen der Mitgliedstaaten ergeben, auch als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind.
Ziel des Gesetzes über die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union v. 21.7.2012, mit dem durch Art. 8 die Ergänzung in Abs. 1 vorgenommen wurde, ist die Vereinfachung des Austauschs von Informationen und Erkenntnissen zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Insbesondere für die Strafverfolgungsbehörden und die Behörden der Zollverwaltung wurden Regelungen zum Datenaustausch geschaffen oder konkretisiert.
Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt (BT-Drs. 17/5096 S. 31), erfolgte die Ergänzung in § 77 Abs. 1 überwiegend aus rechtssystematischer Sicht und...