Rz. 20
Führt der Unternehmer den Versicherungsfall vorsätzlich herbei, soll er selbst und in vollem Umfang haften. Bedingter Vorsatz reicht dabei aus (BAG, Urteil v. 10.10.2002, 8 AZR 103/02), nicht jedoch schon bewusste Fahrlässigkeit. Die Abgrenzung ist nicht immer einfach. Zugrunde zu legen ist der zivilrechtliche Verschuldensbegriff des § 276 BGB (vgl. Seichter, in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 276 Rz. 4 ff., Stand: 2.6.2020). Demnach ist Vorsatz das Wissen und Wollen des Erfolges im Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit des eigenen Handelns. Direkter Vorsatz (dolus directus) liegt vor, wenn der Erfolg als notwendige Folge eines bestimmten Verhaltens vom Handelnden vorausgesehen und gewollt ist. Bedingter Vorsatz (dolus eventualis) liegt vor, wenn der Handelnde sich den Erfolg als möglich vorgestellt und für den Fall seines Eintritts billigend in Kauf genommen hat. Beim bedingten Vorsatz wird also die als möglich erkannte Folge vom Handlungswillen umfasst und deren Eintritt in Kauf genommen (Was soll’s, mir doch egal.), während bei der bewussten Fahrlässigkeit der Täter nicht gehandelt hätte, wenn er die als möglich erkannte Folge tatsächlich erwartet hätte (Es wird schon gut gehen.).
Rz. 21
Nach der Neufassung der Vorschrift im § 104 war umstritten, ob der Vorsatz des Unternehmers nicht nur die den Versicherungsfall verursachende schädigende Handlung, sondern auch den Eintritt des Schadens umfassen muss (zum damaligen Meinungsstand vgl. BVerfG, Beschluss v. 2.3.2000, 1 BvR 2224/98). Der Meinungsstreit ist weitgehend geklärt. Die h. M. in Literatur und Rechtsprechung verlangt den Vorsatz für die Verursachung des Versicherungsfalles und zumindest bedingten Vorsatz für den Eintritt des Schadens (BGH, Urteil v. 11.2.2003, VI ZR 34/02; BAG, Urteil v. 10.10.2002, 8 AZR 103/02; Grüner, in: LPK-SGB VII, § 104 Rz. 19; Lauterbach/Dahm, SGB VII, § 104 Rz. 21; Ricke, in: KassKomm. SGB VII, § 104 Rz. 12; Krasney, in: Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, SGB VII, § 104 Rz. 22 m. w. N.; jetzt auch Hauck/Kranig, SGB VII, § 104 Rz. 43). Dem ist zuzustimmen. Es gibt keinen Grund, in Abweichung zur Vorgängervorschrift eine Analogie zu § 110 zu bemühen. Dort hat der Gesetzgeber die Regressvoraussetzungen bewusst anders gefasst, um einen leichteren Rückgriff auf den Unternehmer zu ermöglichen. Es genügt also nicht, wenn ein Unternehmer vorsätzlich gegen Unfallverhütungsvorschriften verstößt (BAG, Urteil v. 20.6.2013, 8 AZR 471/12). Der Vorsatz des Schädigers muss nämlich nicht nur die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg umfassen (BAG, a. a. O.). Der Schädiger muss also auch den Schadenseintritt gewollt haben oder zumindest diesen billigend in kauf genommen haben. Ebenso wie im strafrechtlichen Bereich ist der bedingte Vorsatz abzugrenzen von der bewussten Fahrlässigkeit. Der fahrlässig Handelnde vertraut darauf, dass der Schaden nicht eintreten wird, während der (bedingt) vorsätzlich Handelnde den Schadenseintritt billigend in kauf nimmt.