Rz. 7
Wird allein die Leibesfrucht geschädigt, die Schwangere hingegen nicht, so ist der Versicherungsfall der Schwangeren ebenfalls gegeben (allg. Ansicht: Ricke, in: BeckOGK, Stand: 15.2.2024, SGB VII, § 12 Rz. 14 und 19; Schmitt, SGB VII, § 12 Rz. 7). Satz 2 erweitert den Versicherungsfall der Mutter in Bezug auf Berufskrankheiten. Für den Versicherungsfall der Berufskrankheit der Mutter ist es ausreichend, wenn das Kind durch Einwirkungen geschädigt ist, die bei der Mutter eine Berufskrankheit hätten hervorrufen können (BT-Drs. 13/2204 S. 79 zu § 12). Das Gesetz spricht insoweit von genereller Eignung. Es knüpft damit an § 9 Abs. 1 in Verbindung mit der Berufskrankheitenliste an, deren generelle Kausalität und damit Eignung zur Verursachung von Berufskrankheiten feststeht (vgl. Komm. zu § 9).
Die Schwangere erkrankt an Röteln, Berufskrankheit Nr. 3104 der Anlage 1 zur BKV, mit der Folge eines späteren Krampfleidens und schweren Defekten beim Kind (BVerfG, Beschluss v. 22.6.1977, 1 BvL 2/74).
Für den Versicherungsfall der Leibesfrucht ist es nicht notwendig, dass neben dem Krankheitseintritt ggf. erforderliche weitere Voraussetzungen, wie die besonderen Voraussetzungen bei der BK 5101 ("schwer" und "wiederholt rückfällig") bereits vorliegen (Ricke, in: BeckOGK, Stand: 15.2.2024, SGB VII, § 12 Rz. 19).
Rz. 8
Im Falle der Anerkennung "wie eine Berufskrankheit" nach § 9 Abs. 2 gelten die dortigen Grundsätze, die überwiegende Meinung der Fachleute, die auf dem jeweiligen Gebiet über entsprechende Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, muss den Ursachenzusammenhang zwischen der schädigenden Einwirkung und der Entstehung einer Erkrankung bejahen (vgl. Komm. zu § 9). Das geschädigte Kind trägt die objektive Feststellungslast, wenn der Nachweis scheitert (BSG, Urteil v. 30.4.1985, 2 RU 44/84; zur Frage der hinreichenden Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen nachgewiesenen Gesundheitsschäden [Chronic-Fatigue-Syndrom, neurotische Fehlentwicklung, narbige Einziehung an der rechten Niere] des Nasciturus und der den Grenzwert überschreitenden Exposition der Mutter gegenüber Trichlorethylen und Perchlorethylen während der Schwangerschaft: LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 31.1.2007, L 2 U 918/05).
Rz. 9
Eine entsprechende Regelung für Arbeitsunfälle ist entbehrlich. Es ist kein Arbeitsunfall denkbar, der wegen der natürlichen Einheit von Mutter und Kind nicht zugleich beide schädigt. Dieser Ansicht steht § 12 Satz 2 nicht entgegen. Die Vorschrift für Berufskrankheiten ist keine abschließende Sonderregelung, ebenso wenig steht die Definition des Versicherungsfalls in § 8 Abs. 1 Satz 2, die unabdingbar einen Gesundheitsschaden voraussetzt, entgegen. Der Gesetzgeber hat nur ausdrücklich festgeschrieben, was bereits zuvor der Rechtsprechung und Literatur entsprach. Auch aus der Begründung folgt, dass keine Einschränkung gewollt war, nur der weitergehende Vorschlag des Bundesrates wurde von der Bundesregierung abgelehnt. Die Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Norm, bei gleicher Gefahrenlage Versicherungsschutz zu gewähren.
Die Mutter stürzt bei der Arbeit von einer Leiter. Die Leibesfrucht erleidet eine Schädigung des Hirns (BSG, Urteil v. 23.6.1959, 2 RU 257/57).