Rz. 10
Als zweites Merkmal verlangt § 12, dass der Versicherungsfall oder im Fall des § 11 "der mittelbare Schaden der Mutter" während der Schwangerschaft eingetreten ist. Der Versicherungsschutz beginnt mit der Zeugung und endet mit der Vollendung der Geburt, weshalb eine Schädigung während der Geburt noch eine Schädigung als Leibesfrucht ist (Ricke, in: BeckOGK, Stand: 15.2.2024, SGB VII, § 12 Rz. 10-13; Kater, in: Kater/Leube, SGB VII, § 12 Rz. 9; Schwerdtfeger, in: Lauterbach, SGB VII, § 12 Rz. 5; Schmitt, SGB VII, § 12 Rz. 5).
Rz. 11
Die Schädigung nach der Geburt, z. B. durch das Stillen, ist kein Versicherungsfall des § 12 (BSG, Urteil v. 30.4.1985, 2 RU 44/84; Kater, in: Kater/Leube, SGB VII, § 12 Rz. 9; Schmitt, SGB VII, § 12 Rz. 6).
Rz. 12
Das noch nicht gezeugte Kind ist keine Leibesfrucht und damit vom Schutz des § 12 nicht umfasst. Wesentlich für diese Einordnung ist, nach der seitens des BVerfG gebilligten Rechtsprechung des BSG, die naturbedingte Teilnahme des Ungeborenen an der versicherten Tätigkeit der Mutter und damit am Risiko, zusammen mit der Mutter einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit zu erleiden. Ein noch nicht gezeugtes Kind ist dieser Gefahrenlage nicht ausgesetzt, weshalb ihm keine Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zustehen, auch wenn es später als Leibesfrucht während der Schwangerschaft durch die Folgen einer von seiner Mutter vor der Zeugung erlittenen Berufskrankheit geschädigt wird (vgl. BSG, Urteil v. 30.4.1985, 2 RU 44/84, und zur Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz: BVerfG, Beschluss v. 20.5.1987, 1 BvR 762/85). Wegen der Unterschiedlichkeit der Gefahrenlage liegt auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor, denn Ungleiches darf nicht gleichbehandelt werden (vgl. BVerfG, Beschluss v. 20.5.1987, 1 BvR 762/85).
Rz. 13
Die gesetzliche Unterscheidung ist nicht naturgegeben, sondern politisch getroffen. Sowohl beim noch nicht Gezeugten als auch beim bereits Geborenen kann sich das Risiko der versicherten Tätigkeit ebenso wie beim Nasciturus verwirklichen. So beruht es häufig allein auf dem Zufall, ob das Kind schon gezeugt ist, bereits geboren ist oder ein Ungeborenes vorliegt bzw. wann die Einwirkung erfolgt ist oder ob sich die Berufskrankheit zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt feststellen lässt. Auch der Widerspruch zur zivilrechtlichen Haftung ist unübersehbar. Hat ein Dritter schuldhaft die Mutter vor der Empfängnis mit Lues infiziert, wodurch später während der Schwangerschaft die Leibesfrucht geschädigt wird, so haftet er gegenüber dem geschädigten Kind. Es ist bedauerlich, dass der Gesetzgeber die Neuregelung nicht zum Anlass genommen hat, den viel zitierten Schutz des ungeborenen Lebens zu verbessern.