Rz. 65
Eine gewichtige Bedeutung bei der Gesamtabwägung kommt hierbei stets dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu.
Rz. 66
Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer (äußerer) Umstand i. S. d. § 65 Abs. 6 HS 2 SGB VI ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hinsichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt war, unvermittelt ("plötzlich" und "unerwartet") eingetreten ist. Denn in diesem Fall kann nicht davon ausgegangen werden, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, dem Ehegatten eine Hinterbliebenenversorgung zu verschaffen. In der Gesetzesbegründung zur rentenrechtlichen Parallelregelung des § 46 Abs. 2a HS 2 SGB VI wird als ein Beispiel hierfür der "Unfalltod" genannt (BT-Drs. 14/4595 S. 44). Unvermittelt eingetreten in diesem Sinne ist der Tod aber auch bei einem Verbrechen oder bei einer Erkrankung, die plötzlich aufgetreten ist und schnell zum Tode geführt hat (z. B. Infektionskrankheit oder Herzinfarkt bei unbekannter Herzerkrankung).
Rz. 67
Hingegen ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten i. d. R. der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a HS 2 SGB VI nicht erfüllt. Mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit steigt zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres angeführt werden. Für ein Gewahrwerden des schlechten Gesundheitszustands muss keine tatsächliche Kenntnis über ein kurz bevorstehendes Ableben, sondern ausschließlich über eine lebensbedrohliche Erkrankung und den damit einhergehenden Gesundheitszustand bestehen (LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil v. 12.7.2023, L 5 U 39/18, Rz. 29, 33). Dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung kommt daher besondere Bedeutung zu (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 29.1.2020, L 17 U 380/19, Rz. 28). Ist der notwendige Beweis des Gegenteils einer im Vordergrund stehenden Versorgungsabsicht beider Ehegatten nicht erbracht, so ist die Gewährung von Hinterbliebenenrente ausgeschlossen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der schlechte Gesundheitszustand des Versicherten im Zeitpunkt der Eheschließung für Dritte klar erkennbar war und der Versicherte bereits 3 Monate danach verstarb (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 11.5.2021, L 15 U 495/19, Rz. 72).
Rz. 68
Auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis des Ehegatten ist der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) aus anderen als aus Versorgungsgründen geheiratet wurde.
Rz. 69
Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war. Dementsprechend steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden (BSG, Urteil v. 5.5.2009, 8 13 R 55/08 R).
Rz. 69a
Zu den möglichen weiteren äußeren Umständen, die gegen (oder mittelbar für) eine Versorgungsehe sprechen können, gehören ein gegenseitiges Testament, gemeinsame Patientenverfügung, gegenseitige Bankvollmacht und ggf. Versorgung gemeinsamer Kinder.