Rz. 10
Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen betrifft den Sachverhalt, der bei Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen hat. Die Änderung kann sich durch die Verbesserung oder Verschlechterung des Unfallfolgezustandes, ergeben. Eine Änderung der Verhältnisse kommt nach der Rechtsprechung des BSG in Bezug auf die MdE-Bewertung von Gebrauchshand und Hilfshand (Urteil v. 29.6.1979, 8a RU 68/78) erst in Betracht, wenn allgemeine Erfahrungswerte in Anhaltspunkten, Leitlinien oder im einschlägigen Schrifttum einen Niederschlag gefunden haben und allgemein einer tatsächlichen Übung entsprechen. Ob die Anpassung und Gewöhnung an die geänderten Lebensverhältnisse bei gleichbleibendem Unfallfolgezustand, z. B. der vermehrte Einsatz der Hilfshand statt der unfallverletzten Gebrauchshand, als wesentliche Besserung interpretiert werden kann, ist problematisch (so aber wohl BSG, Urteil v. 11.9.1958, 2 RU 68/56). Dies erscheint sowohl angesichts der wechselnden Anforderungen der Arbeitswelt, vor allem aber angesichts des in § 56 Abs. 2 Satz 1 normierten Prinzips der abstrakten MdE-Bemessung problematisch.
Rz. 10a
Das BSG (B 2 U 11/15 R mit Anm. Hollo, jurisPR-SozR 21/2017 Anm. 5) hat eine wesentliche Besserung im Unfallfolgezustand auch in dem Fall verneint, in dem ein oberschenkelamputierter Versicherter nachträglich mit einer mikroprozessorgesteuerten Oberschenkelprothese, einem sog. C-Leg versorgt wurde, was im Verhältnis zur vorherigen prothetischen Versorgung zu einer deutlichen Funktionsverbesserung des linken Beines, zu einem flüssigeren Gangbild und einer Erhöhung der Gang- und Standsicherheit führte. Das BSG stellte entscheidend darauf ab, dass der von den Tatsacheninstanzen zugrunde gelegte MdE-Wert unverändert geblieben war. Daher könne nicht festgestellt werden, dass der MdE-Tabellenwert vom Zeitpunkt der Versorgung mit dem C-Leg an falsch zugrunde gelegt wurde.
Rz. 11
Eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse in der gesetzlichen Unfallversicherung liegt nicht vor, wenn der Versicherte durch neu erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten eine wirtschaftlich gleichwertige oder sogar höherwertige Tätigkeit ausübt, oder wenn er aus dem Erwerbsleben ausscheidet. Der Annahme einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse steht auch insoweit der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung entgegen, wonach es allein darauf ankommt, in welchem Umfang dem Versicherten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens durch die Beeinträchtigung seines körperlichen, geistigen und seelischen Leistungsvermögens verschlossen sind.