Rz. 3
Abs. 1 Satz 1 sieht vor, dass die rentenberechtigende MdE über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus wenigstens 30 % betragen muss, während nach § 56 Abs. 1 Satz 1 bereits eine MdE von 20 % rentenberechtigend ist. Diese Regelung betrifft, wie bereits oben dargestellt, allein die landwirtschaftlichen Unternehmer sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten und Lebenspartner sowie mitarbeitende Familienangehörige, während für abhängig Beschäftigte nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 und für Versicherte nach § 2 Abs. 2 die allgemeinen Regeln nach § 56 maßgeblich sind. Die höhere Mindest-MdE wird in der Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales v. 7.11.2007 (BT-Drs. 16/6984 S. 15 f.) damit begründet und gerechtfertigt, dass es sich bei der landwirtschaftlichen Unfallversicherung vorrangig um eine genossenschaftlich organisierte Selbsthilfe der Unternehmer handelt. Bei Unternehmern und deren Ehegatten oder Lebenspartnern sowie bei den im Unternehmen mitarbeitenden Familienangehörigen liegt dem Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung – anders als bei den versicherten Arbeitnehmern – keine Ablösung der Unternehmerhaftung zugrunde. Ferner heißt es in der Begründung, bei Verletzungen, die eine MdE von unter 30 % nach sich ziehen, sei bei dem Personenkreis der landwirtschaftlichen Unternehmer, ihrer Ehegatten oder Lebenspartner und der mitarbeitenden Familienangehörigen regelmäßig davon auszugehen, dass kein Erwerbsschaden durch die Verletzungsfolgen eintritt. Die genossenschaftlich organisierte Selbsthilfe gebiete es nicht, im gleichen Umfang wie bei Arbeitnehmern auch immaterielle Schäden abzugelten.
Rz. 4
In Rechtsprechung (SG Fulda, Urteil v. 11.9.2012, S 4 U 156/10) und Literatur (Keller, in: Hauck/Noftz, SGB VII, § 80a Rz. 5; Ricke, in: KassKomm., SGB VII, § 80a Rz. 2) wurden verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Einbeziehung mitarbeitender Ehegatten erhoben. Da der Gedanke der unternehmerischen Selbsthilfe im Rahmen einer Unternehmer-Pflichtversicherung insofern nicht greife, sei Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, falls nicht im Wege der verfassungskonformen Auslegung die Ungleichbehandlung vermieden werden könne. Feddern (in: jurisPK-SGB VII, § 80a Rz. 9) weist auf den Beschluss des BVerfG v. 24.7.2002 (1 BvR 644/95) hin, der allerdings zu der Vorschrift des § 780 RVO a. F. zum pauschalierten Jahresarbeitsverdienst für landwirtschaftliche Unternehmer und ihre Ehegatten ergangen ist. Das BVerfG (a. a. O.) stellt auf die Möglichkeit des Abschlusses einer Zusatzversicherung ab, die es im Zusammenhang mit § 80a jedoch nicht gibt. Das Urteil des SG Fulda wurde zwischenzeitlich vom Hess. LSG mit Urteil v. 22.11.2016 (L 3 U 231/12) aufgehoben; die dagegen eingelegte Revision wurde vom BSG mit Urteil v. 20.3.2018 (B 2 U 11/17 R) zurückgewiesen. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Anspruch auf Verletztenrente eines nicht nur vorübergehend mitarbeitenden versicherten Familienangehörigen eines landwirtschaftlichen Unternehmers eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht nur von 20 %, sondern von mindestens 30 % voraussetze. Insbesondere läge zwar eine Ungleichbehandlung i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG vor; diese sei jedoch durch sachliche Gründe gerechtfertigt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt. Als sachlicher Grund wird insbesondere darauf abgestellt, dass eine beabsichtigte Senkung der Bundeszuschüsse durch geringere Ausgaben für die Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft kompensiert werde und dadurch deren Funktions- und Leistungsfähigkeit trotz veränderter Rahmenbedingungen erhalten bleibe.