Rz. 23
Bei der Prüfung, ob die versicherte Tätigkeit zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den menschlichen Körper geführt hat (Einwirkungskausalität), ist zunächst die rein naturwissenschaftliche Verursachung zu klären (vgl. dazu Bieresborn, SGb 2016, 310, 311). Es muss hinreichend wahrscheinlich sein, dass die versicherte Tätigkeit nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass die Einwirkungen entfielen. Anschließend ist in einem 2. Prüfungsschritt der Zurechnungszusammenhang zwischen der generell versicherten Tätigkeit und den listenmäßigen Einwirkungen zu klären. Dabei geht es um die Grenzen des Versicherungsschutzes und nicht um die Ursächlichkeit (Kausalität) im naturwissenschaftlich-philosophischem Sinne (Köhler, SGb 2006, 9, 16). Es ist wertend zu entscheiden, ob die Einwirkungen, denen der Versicherte ausgesetzt war, zur versicherten Tätigkeit gehörten (vgl. BSG, Urteile v. 20.1.1987, 2 RU 27/86, und v. 18.4.2000, B 2 U 7/99 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile v. 25.8.2004, L 17 U 307/03, v. 27.10.2004, L 17 U 68/03, v. 24.11.2004, L 17 U 134/94, und v. 16.3.2005, L 17 U 68/04).
Rz. 24
Die jeweiligen Einwirkungen müssen innerhalb der Grenze liegen, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Es muss also eine sachliche Verbindung mit der versicherten Tätigkeit bestehen, der sog. innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, die jeweiligen Einwirkungen der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Dieser innere bzw. sachliche Zurechnungszusammenhang zwischen den Einwirkungen und der versicherten Tätigkeit ist wertend zu ermitteln (BSG, Urteile v. 28.6.1988, 2 RU 60/87, und v. 4.6.2002, B 2 U 11/01 R). Im Rahmen dieser Wertung stehen bei der Frage, ob der Versicherte zur Zeit der Einwirkung(en) eine versicherte Tätigkeit ausgeübt hat, Überlegungen nach dem Zweck seines Handelns mit im Vordergrund (BSG, Urteil v. 5.5.1994, 2 RU 26/93). Maßgeblich ist seine Handlungstendenz (BSG, Urteile v. 21.8.1991, 2 RU 62/90, und v. 24.3.1998, B 2 U 4/97 R), die vor allem durch die objektiven Umstände des Einzelfalles bestätigt werden muss (BSG, Urteil v. 31.5.1988, 2/9b RU 16/87). Die neuere Rechtsprechung des SG (Urteil v. 2.4.2009, B 2 U 9/08 R) bezeichnet diese Zurechnung als Einwirkungskausalität.
Rz. 25
Für die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung ist der volle Nachweis zu erbringen (BSG, Urteil v. 30.4.1985, 2 RU 43/84). Es muss also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteil v. 4.6.2002, B 2 U 16/01 R) feststehen, dass im Zeitpunkt der Einwirkungen – noch – eine versicherte Tätigkeit ausgeübt wurde (BSG, Urteil v. 20.1.1987, 2 RU 27/86; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile v. 25.6.1997, L 17 U 86/94, und v. 9.7.1997, L 17 U 84/95). Eine Tatsache ist voll bewiesen, wenn sie in so hohem Maße wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, den Rechtsanwender voll zu überzeugen (BSG, Urteile v. 22.9.1977, 10 RV 15/77; v. 2.2.1978, 8 RU 66/77, und v. 6.2.2003, B 7 AL 12/02 R, sowie Beschluss v. 8.8.2001, B 9 V 23/01 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 9.7.1997, L 17 U 84/95; Humpert, in: Jansen, SGG, 2. Aufl. 2005, § 127 Rz. 4; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 128 Rz. 3c). Ist im Rahmen des Zurechnungszusammenhangs eine naturwissenschaftliche oder medizinische Kausalitätsfrage zu beantworten, genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit. Für rechtliche Zurechnungsfragen existieren überhaupt keine Beweisanforderungen.