Zusammenfassung
Transformation, permanente Change-Anforderungen und steigende Komplexität im Arbeits- und Führungsalltag verlangen Mitarbeitern und Führungskräften einiges ab. Liegt ein schwieriges Mitarbeitergespräch oder ein Teamkonflikt zur Bearbeitung an, ist es wenig hilfreich, auf das dann gebuchte Führungsseminar oder Coaching zu warten, ganz abgesehen davon, dass es mit hohen Kosten einhergeht. Und: klassische Seminare bzw. Trainings bieten Teilnehmern oft wenig Raum, ihre Erfahrungen bzw. individuellen Anliegen einzubringen. Genau dies ermöglicht die kollegiale Praxisberatung. Daher überrascht es, dass dieses Personalentwicklungsinstrument in Unternehmen noch eine eher geringe Rolle spielt. Der Beitrag informiert über die Methode der kollegialen Praxisberatung, ihren Nutzen, den Ablauf, und die mögliche Ein- bzw. Durchführung.
1 Definition: Was ist die kollegiale Praxisberatung?
Die kollegiale Praxisberatung ist die strukturierte Fallberatung in einer selbstgesteuerten und „führungslosen“ Gruppe Berufstätiger. Den Mitwirkenden bietet sie einen Reflexionsraum, in dem aktuelle berufliche Praxisfälle systematisch beleuchtet und angereichert werden.
Dabei überlegen Personen mit beruflicher Gleichstellung zusammen, um gemeinsam Lösungen für konkrete Probleme zu finden. Derjenige, der den spezifischen Fall präsentiert, beschreibt die Situation den Beratern und erhält von ihnen Ratschläge. Es ist dabei nicht erforderlich, dass die Berater direkt mit dem konkreten Fall in Verbindung stehen.
Geläufig ist auch das „Heilsbronner Modell“. Dies ist eine streng strukturierte Variante: Damit auch methodisch wenig erfahrene Kollegen ohne externen Moderator auskommen, wird der Ablauf in zehn genau definierte, aufeinander aufbauende Schritte aufgeteilt. Dadurch kann eine Beratungsgruppe die Fallberatung selbst organisieren und durchführen.
Nachfolgend wird in diesem Beitrag eine abgespeckte, pragmatischere und einfachere Variante vorgestellt, die im beruflichen Alltag in selbstorganisierten Beratungen ohne großen Zeitaufwand durchgeführt werden kann.
2 Nutzen der kollegialen Praxisberatung
Folgende Nutzen bieten kollegiale Praxisberatungen den Teilnehmern:
- Perspektiven erweitern
- Nutzbarmachung von internem Wissen und Kompetenzen
- Ideen und neue Lösungsansätze entwickeln
- Ausbau der Methodenkompetenz der Teilnehmer
- Soziale Unterstützung erfahren
- Innere Klarheit herstellen
- Eigene Haltung und Rolle reflektieren
- Verhaltensmöglichkeiten erweitern
- Entwicklung einer Kultur des Miteinander- und Voneinander-Lernens
- Schnelle und kostengünstige Handlungsfähigkeit
3 Vorbereitung: Selbstklärung / Selbstnutzen
Der Fallgeber (derjenige, der sein Anliegen einbringt) sollte sich zur Vorbereitung auf die kollegiale Praxisberatung folgende Fragen stellen:
- Wie kann ich die Komplexität meiner Herausforderung vermitteln, um mir in der kollegialen Beratung Unterstützung zu holen?
Sprechender Titel
Zur Vorbereitung und um den Fall den Kollegen vorzustellen hilft es, dem Fall einen sprechenden Titel zu geben und den Kontext zu erläutern. Bei der Vorbereitung helfen auch folgende Fragen:
- Wer ist betroffen?
- Wer ist wie beteiligt?
- Welche (einschränkenden) Rahmenbedingungen existieren?
- Gibt es eine konkrete Schlüsselsituation oder kann ich den Fall anhand verschiedener Beispiele greifbar machen?
- Wie erlebe ich die Situation und wie geht es mir damit?
Daraus resultierend sollte das Anliegen so konkret wie möglich formuliert werden.
Es kann sehr hilfreich sein, diese Fragen im Vorfeld auf einem Flipchart zu visualisieren siehe Abb. 1:
Quelle: Thomann-Schema zur strukturierten Situationsanalyse
Abb. 1: Mögliche visuelle Vorbereitung auf die kollegiale Praxisberatung
4 Rahmenbedingungen
Für den Ablauf der kollegialen Praxisberatung sollten bestimmte Rahmenbedingungen eingehalten werden:
- Zeitfenster von 25-30 Minuten pro Fall
- Optimal sind 4-6 Teilnehmer
- Geeignete Räumlichkeit
- Vertrauen & Vertraulichkeit („What happens in Vegas, stays in Vegas“)
Rollenverteilung:
- Der Moderator ist für die Einhaltung von Struktur und Zeit verantwortlich.
- Der Fallgeber bringt sein Anliegen ein und hat sich gut darauf vorbereitet.
- Die kollegialen Berater hören aktiv zu und bringen ihre Ideen, Gedanken und Hypothesen ein.
- Offenheit, Entwicklungsbereitschaft und Freude am Lernen.
- Die Teilnahme sollte immer freiwillig sein.
- Wettbewerbsdenken, schwelende Konflikte zwischen Teilnehmern und Hierarchiedenken vertragen sich nicht mit kreativen Beratungssituationen.
- Eine Rolle einer Gruppenleitung ist nicht vorgesehen. Dauer, Turnus und Modus – in Präsenz oder online – werden selbstbestimmt vereinbart.
5 Ablauf
Je nach Komplexität des Falles und Anzahl der Teilnehmer können die Zeitangaben nach oben abweichen. Die angegebenen Zeiten sind – aus der Erfahrung heraus – Mindestzeiten.
- Falldarstellung (ca. 5 Minuten): Der Fallgeber schildert sein Anliegen sowie bisherige Lösungsansätze. Er formuliert seine Fragestellung für die Praxisberatung, gerne visualisiert er seine Ausführungen (s. Abb. 1). Die Berater hören aktiv zu und machen si...