Prof. Dr. jur. Tobias Huep
Der Begriff der Krankheit ist streng zu trennen vom Begriff der Arbeitsunfähigkeit: krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit (AU) bedeutet, dass der Arbeitnehmer aufgrund der Krankheit die ihm nach dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses obliegende Arbeitspflicht nicht erfüllen oder die Arbeit nur unter der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fortsetzen kann. Dabei muss für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem EFZG die Krankheit die alleinige Ursache der AU sein (sog. "Monokausalität").
Die zur Arbeitsunfähigkeit führende Krankheit beurteilt sich stets im Hinblick auf die konkret vom Arbeitnehmer zu erbringende Arbeitspflicht. Ein krankgeschriebener Arbeitnehmer ist nur verpflichtet, sich so zu verhalten, dass er möglichst bald wieder gesund wird, und hat alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögern könnte. Deshalb spielt es im Entgeltfortzahlungsgesetz keine Rolle, ob der Arbeitnehmer bettlägerig ist oder nicht. Der Anspruch ist deshalb auch nicht ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer einer Nebentätigkeit nachgeht. Nur ein Verhalten, durch das der Heilungsprozess während einer Behandlung verzögert würde, ist insoweit relevant; u. U. ist dann auch eine Kündigung gerechtfertigt (als verhaltens-, nicht als krankheitsbedingt). Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit liegt bei Ansteckungsgefahr vor, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht erfüllen könnte. Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist zu bejahen, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitspflicht nur teilweise erbringen kann. Es ist gleich, ob der Arbeitnehmer durch die Krankheit ganz oder teilweise arbeitsunfähig wird. § 74 SGB V, der die stufenweise Wiedereingliederung regelt, hat daran nichts geändert. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine Tätigkeit des Arbeitnehmers im Wiedereingliederungsverfahren als teilweise Arbeitsleistung entgegenzunehmen. Tut er es dennoch, steht dem Arbeitnehmer ohne ausdrückliche Zusage weder aus dem Wiedereingliederungsvertrag noch aus dem Gesetz ein Vergütungsanspruch zu. Im Entgeltfortzahlungsgesetz ist die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unmittelbare Anspruchsvoraussetzung.
Im Kündigungsrecht ist die "krankheitsbedingte Kündigung" der wichtigste Anwendungsfall der personenbedingten Kündigung. Dabei ist die Krankheit an sich kein Kündigungsgrund, sondern erst die von ihr verursachten Leistungsstörungen des Arbeitsverhältnisses. Dabei ist der Verlauf der krankheitsbedingten Leistungsstörungen in der Vergangenheit Prognosegrundlage für die Entwicklung des Arbeitsverhältnisses in der Zukunft.