Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinderung des Arbeitnehmers infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit zur Wahrnehmung seines Urlaubs bis zum Ende des Urlaubsjahres. Untergang des Anspruchs auf den gesetzlichen Mindesturlaub. bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit. unter besonderen Umständen mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres. Umfang der Mitwirkungsobliegenheiten eines Arbeitgebers im Zusammenhang mit dem Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Erholungsurlaub
Leitsatz (amtlich)
1. Ist der Arbeitnehmer infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit daran gehindert, seinen Urlaub bis zum Ende des Urlaubsjahres zu nehmen, kann der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub - bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit - unter besonderen Umständen mit Ablauf des 31. März des zweiten Folgejahres untergehen. Erkrankt der Arbeitnehmer erst im Verlaufe des Urlaubsjahres, erlischt der Anspruch grundsätzlich aber nur, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten rechtzeitig in die Lage versetzt hat, diesen Anspruch auszuüben (im Anschluss an BAG 31. Januar 2023 - 9 AZR 107/20 - Rn. 13 und 15).
2. Die Mitwirkungsobliegenheiten eines Arbeitgebers im Zusammenhang mit dem Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Erholungsurlaub umfassen auch den Hinweis auf vom Arbeitgeber geplante Betriebsferien.
3. Weist ein Arbeitgeber nicht rechtzeitig vor dem Beginn der Erkrankung eines Arbeitnehmers auf geplante Betriebsferien hin, reduziert sich der Urlaubsanspruch - und ihm folgend der Urlaubsabgeltungsanspruch - grundsätzlich nicht um die Tage der Betriebsferien.
Normenkette
BUrlG § 7 Abs. 3-4, § 11
Verfahrensgang
ArbG Villingen-Schwenningen (Entscheidung vom 16.02.2023; Aktenzeichen 5 Ca 267/21) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 16. Februar 2023 - 5 Ca 267/21 - wird als unzulässig verworfen.
2. Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung ihrer weitergehenden Berufung das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 16. Februar 2023 - 5 Ca 267/21 - zu einem geringen Teil im Tenor zu 3 im Zinszeitpunkt vom 27. Januar 2023 auf den 1. September 2020 abgeändert.
3. Die Klägerin trägt 43% der Kosten des Berufungsverfahrens, die Beklagte 57%.
4. Die Revision wird für die Beklagte zugelassen. Für die Klägerin wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über die Abgeltung von Urlaubsansprüchen der Klägerin aus dem Jahr 2019 sowie im Rahmen der Widerklage über die Rückzahlung seitens der Klägerin vollstreckter Beträge an die Beklagte aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 27. Februar 2020 - 5 Ca 207/19 -.
Zwischen den Parteien bestand seit dem 3. Februar 1988 ein Arbeitsverhältnis, in dem die Klägerin zuletzt 3.370,00 Euro brutto monatlich als Vergütung für eine Arbeitsleistung in Vollzeit erhielt. Sie erbrachte ihre Arbeitsleistung an fünf Tagen in der Woche (vgl. die Verdienstbescheinigungen für die Jahre 2016 bis 2018 unter "Fehlzeitenübersicht", im Berufungstermin am 11. Oktober 2023 vorgelegt, Bl. 107 ff. der Berufungsakte). Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existiert nach den Feststellungen im Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 27. Februar 2020 - 5 Ca 207/19 - nicht. Der Klägerin standen jährlich 30 Urlaubstage zu. Ein Tarifvertrag fand auf das Arbeitsverhältnis keine Anwendung. Ein Betriebsrat war im Betrieb der Beklagten gerichtsbekannt nicht errichtet.
Seit dem 21. März 2019 war die Klägerin erkrankt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund der Eigenkündigung der Klägerin mit Ablauf des 19. April 2021. Der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2019 wurde bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht erfüllt. Mit Schreiben vom 13. Juli 2021 (Anlage zur Klageschrift, Bl. 4 ff. der erstinstanzlichen Akte) forderte die Klägerin die Beklagte auf, je 30 Tage für die Jahre 2019 und 2020 sowie siebeneinhalb Urlaubstage für das Jahr 2021 in Höhe von insgesamt 10.498,85 Euro brutto abzugelten sowie Zinsen ab dem 20. April 2021 zu zahlen. Eine Zahlung seitens der Beklagten erfolgte nicht.
Bereits in der Vergangenheit führten die Parteien Rechtsstreitigkeiten in Bezug auf ihr Arbeitsverhältnis. Mit Urteil vom 27. Februar 2020 - 5 Ca 207/19 - verurteilte das Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen - nachfolgend: das Arbeitsgericht - die Beklagte zur Zahlung von 10.110,00 Euro brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 7. Mai 2019. Der auf die Vollstreckung dieser Forderung gerichtete Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts S. vom 11. August 2020 - M /20 - wurde der Kreissparkasse T. am 17. August 2020 zugestellt (vgl. Anlagen zur Berufungsbegründung der Beklagten, Bl. 64 ff. der Berufungsakte). An die Klägerin wurde nicht nur der titulierte Bruttobetrag ausgezahlt, sondern auch Zinsen i.H.v. 534,50 Euro sowie Anwaltskosten gemäß dem RVG für die Zwangsvollstreckung i.H.v. 233,39 Euro (Bl. ...