Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Anrechnung von Quarantäne auf Urlaub. Kein Anspruch auf Gutschrift für Arbeitszeit bei Quarantäne. Quarantäne nicht gleich Arbeitsunfähigkeit. Quarantäne als Risiko des Arbeitnehmers. Schadensersatz des Arbeitnehmers wegen unterlassenen Covid-19-Schutzmaßnahmen
Leitsatz (amtlich)
§ 9 BUrlG findet keine analoge Anwendung, wenn ein nicht arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer während seines Urlaubs aufgrund einer Quarantäneanordnung des Gesundheitsamtes nach einem Kontakt mit einer mit COVID-19 infizierten Person die Wohnung nicht verlassen darf. Der Urlaubsanspruch eines solchen Arbeitnehmers wird vielmehr im Umfang des vom Arbeitgeber gewährten Urlaubs erfüllt, und das Urlaubsguthaben des Arbeitnehmers verringert sich um die entsprechenden Tage.
Normenkette
BUrlG § 9; BGB § 280; EFZG § 3; BGB § 275 Abs. 1, § 618; ArbSchG § 3
Verfahrensgang
ArbG Ulm (Entscheidung vom 09.07.2021; Aktenzeichen 6 Ca 597/20) |
Nachgehend
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ulm - Kammern Ravensburg - vom 9. Juli 2021 - 6 Ca 597/20 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
- Die Revision wird für den Kläger nur bezogen auf die analoge Anwendung des § 9 BUrlG zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Folgen einer Quarantäneanordnung für bewilligten Urlaub.
Der Kläger war im gesamten Kalenderjahr 2020 bei der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer in der Produktion beschäftigt. Auf seinen Antrag bewilligte die Beklagte am 19. März 2020 für den 17. und 18. September 2020 Urlaub. Die Zahlung des Urlaubsentgeltes sagte sie vorbehaltlos zu.
Nach einem Protokoll des Landratsamtes über das "Anamnese-Gespräch enge Kontaktperson (KP1)" vom 15. September 2021 (Anlage BK1, Bl. 37 ff. der Berufungsakte) fand an diesem Tag ein Telefonat mit dem Kläger statt und es wurde mündlich Quarantäne angeordnet. Im Rahmen der Gesprächsdokumentation (Anlage BK1, S. 4 des Protokolls, Bl. 40 der Berufungsakte) wurde Folgendes festgehalten:
"Arbeitskollege vom Indexfall. Waren am 14.09.2020 und 15.09.2020 gemeinsam auf Arbeit. Herr F. wurde genau zu seinen Kontakten mit dem Index gefragt. Der Kontakt überschritt kumulativ 15 Minuten, dies wurde auch nochmals mit ärztlicher Rücksprache versichert. (...)"
Dem Telefonat folgte ein Schreiben vom 17. September 2020, in dem das Ordnungsamt für den Kläger bis zum 29. September 2020 häusliche Quarantäne anordnete (Anl. K1, Bl. 5 der erstinstanzlichen Akte). In der Begründung war ausgeführt, der Kläger habe zuletzt am 15. September 2020 Kontakt mit einer Person gehabt, die mit dem Coronavirus infiziert gewesen sei. Es handelte sich hierbei um einen Arbeitskollegen des Klägers.
Die Beklagte zahlte für den 17. und 18. September 2020 das Urlaubsentgelt. Mit Schreiben vom 5. November 2020 (Anl. K2, Bl. 6 der erstinstanzlichen Akte) verlangte der Kläger von der Beklagten, diese Tage nicht auf seinen Urlaubsanspruch anzurechnen, sondern gutzuschreiben. Die Beklagte lehnte dies ab.
Der Kläger hat vorgetragen, ihm stehe gemäß § 9 BUrlG ein Anspruch auf Gutschrift der Urlaubstage zu. Der Urlaub diene der Erholung. Dieser Zweck habe während einer Quarantäne nicht eintreten können. Er bewohne mit seiner Freundin eine 90 m2 große Wohnung. Sie verfüge über zwei Stockwerke, nicht aber über einen Balkon. Der Kläger habe seine Wohnung nicht verlassen und auch keinen Besuch empfangen können. Typische, der Erholung dienende Urlaubsaktivitäten seien nicht möglich gewesen. Den geplanten Ausflug in den Europapark habe er nicht unternehmen können. Selbst alltägliche Tätigkeiten wie z.B. einkaufen sei ihm nicht möglich gewesen. Die Quarantäne sei deshalb mit einer Arbeitsunfähigkeit vergleichbar, führe in vielen Fällen sogar zu noch größeren Einschränkungen. Auch die amtliche Begründung zu § 48 des Regierungsentwurfs des Bundes-Seuchengesetzes habe angeführt, dass Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige und Ansteckungsverdächtige vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen seien wie Kranke. Soweit das Bundesarbeitsgericht bei einer Schwangerschaft die analoge Anwendung des § 9 BUrlG abgelehnt habe, seien die Sachverhalte nicht vergleichbar. Zu berücksichtigen sei auch, dass es nach § 3 ArbSchG dem Arbeitgeber obliege, dem Arbeitnehmer ein sicheres Umfeld zu schaffen. Dennoch sei während der Arbeitszeit der relevante Kontakt mit einer infizierten Person möglich gewesen. Es scheine daher Schwächen im Hygienekonzept der Beklagten zu geben. Das urlaubsstörende Ereignis stamme somit aus der Sphäre der Arbeitgeberin. Es sei ungerechtfertigt, dem Kläger das daraus resultierende Risiko alleine aufzubürden.
Der Kläger hat zuletzt beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, dem Urlaubskonto des Klägers zwei Urlaubstage gutzuschreiben.
Die Beklagte hat beantragt:
Die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat sie vorgetragen, der Urlaubsanspruch des Klägers sei im Umfang von zwei Tagen durch die bezahlte Freistellung von der Arbeitsleistun...