Entscheidungsstichwort (Thema)
Endgültiger Bestand eines Einigungsstellenspruchs nach gerichtlicher Nichtfeststellung der Unwirksamkeit. Unbeachtlichkeit von Fehlern im Einigungsstellenspruch nach rechtskräftiger Ablehnung der Feststellung der Unwirksamkeit. Fehlende Mitbestimmung des Betriebsrats nach Rechtskraft eines Spruchs der Einigungsstelle unbeachtlich. Keine Pflicht zur Prüfung aller möglichen Einwände bei Wirksamkeitsprüfung eines Einigungsstellenspruchs
Leitsatz (amtlich)
1. Weist das Arbeitsgericht den Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs rechtskräftig zurück, steht damit endgültig fest, dass der Spruch wirksam ist.
2. Die Verbindlichkeit der formell rechtskräftigen gerichtlichen Feststellung zur Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs ist unabhängig davon, ob in dem Wirksamkeitsprüfungsverfahren alle Unwirksamkeitsgründe thematisiert worden sind.
3. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn in dem Einigungsstellenspruch wegen Fehlen eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats und einer beidseitigen Unterwerfung oder nachträglichen Annahme des Einigungsstellenspruchs seitens Betriebsrat und Arbeitgeber eine Regelung nicht hätte ergehen dürfen.
Normenkette
ArbGG § 76 Abs. 6, § 77 Abs. 1, § 87 Abs. 1, § 89 Abs. 2; ZPO § 322
Verfahrensgang
ArbG Brandenburg (Entscheidung vom 27.04.2022; Aktenzeichen 4 BV 34/21) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Brandenburg an der Havel vom 27. April 2022 - 4 BV 34/21 - abgeändert und der Arbeitgeberin unter Androhung eines Ordnungsgeldes von bis zu 10.000,00 EUR aufgegeben, es zu unterlassen, bei Rufbereitschaftsdienst für alle Fachärztinnen/Fachärzte des Städtischen Klinikums in den Fachabteilungen Anästhesie und Intensivmedizin, Innere Medizin, Allgemein- und Visceralchirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Gefäßchirurgie, Neurochirurgie und Radiologie sowie Gynäkologie und Urologie anzuweisen, dass diese innerhalb von maximal 30 Minuten "am Patienten verfügbar" zu sein haben, solange hierzu keine Zustimmung des Beteiligten zu 1. vorliegt oder dessen fehlende Zustimmung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde.
II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Betriebsrat und Arbeitgeberin streiten darum, ob es die Arbeitgeberin zu unterlassen hat, für bestimmte Rufbereitschaftsdienste von Fachärzten eine Höchstzeit zwischen Abruf und Verfügbarkeit am Patienten von 30 Minuten vorzugeben.
Die Beteiligte zu 2 und Arbeitgeberin betreibt ein städtisches Krankenhaus. Der Beteiligte zu 1 ist der dort gebildete Betriebsrat.
Die Arbeitgeberin ist als Mitglied des Kommunalen Arbeitgeberverbands Brandenburg gebunden an den "Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA)". Der TV-Ärzte/VKA vom 17. August 2006 in der Fassung des Änderungstarifvertrag Nr. 8 vom 4. Mai 2022 bestimmt zur Rufbereitschaft wie folgt:
"§ 7 Regelmäßige Arbeitszeit
... (6) Ärztinnen und Ärzte sind im Rahmen begründeter betrieblicher/dienstlicher Notwendigkeiten zu ... Rufbereitschaft ...verpflichtet.
... § 10 ... Rufbereitschaft
... (8) Die Ärztin/Der Arzt hat sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen (Rufbereitschaft). Rufbereitschaft wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Ärztin/der Arzt vom Arbeitgeber mit einem Mobiltelefon oder einem vergleichbaren technischen Hilfsmittel zur Gewährleistung der Erreichbarkeit ausgestattet wird. Der Arbeitgeber darf Rufbereitschaft nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. 4Im Kalendermonat sind nicht mehr als 13 Rufbereitschaften zu leisten. Darüber hinausgehende Rufbereitschaften sind nur zu leisten, wenn andernfalls eine Gefährdung der Patientensicherheit droht. Bei teilzeitbeschäftigten Ärztinnen und Ärzten ist die Höchstgrenze nach Satz 4 entsprechend dem Verhältnis ihrer individuell vereinbarten durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit zur regelmäßigen Arbeitszeit vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Ärztinnen und Ärzte zu kürzen. Verbleibt bei der Berechnung nach Satz 6 ein Bruchteil, der mindestens einen halben Dienst ergibt, wird er auf einen vollen Dienst aufgerundet; Bruchteile von weniger als einem halben Dienst bleiben unberücksichtigt. Durch tatsächliche Arbeitsleistung innerhalb der Rufbereitschaft kann die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden (§ 3 ArbZG) überschritten werden (§ 7 ArbZG)."
Die zwischen den Beteiligten durch Spruch der Einigungsstelle zustande gekommene "Betriebsvereinbarung Dienstplangestaltung und Arbeitszeit Ärzte (BV Arbeitszeit Ärzte)" vom 27. Februar 2014 sieht unter "§ 10 Rufbereitschaft" vor:
"10.2 Während der Rufbereitschaft müssen die Beschäftigten telefonisch erreichbar und in der Lage sein, ihre Arbeitszeit innerhalb einer für die notwendige Patientenversorgung angem...