Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigungsschutz im Kleinbetrieb. treuwidrige Kündigung. Maßregelung wegen Erkrankung. Diskriminierung wegen Krankheit
Leitsatz (redaktionell)
1. Bringt der Arbeitnehmer vor, eine Kündigung sei ausgesprochen, damit der Arbeitgeber nicht die durch eine stationäre Neueinstellung seiner Zuckerkrankheit drohenden Entgeltfortzahlungskosten habe tragen müssen, liegt ein Fall des § 612a BGB nicht vir, denn darin liegt bereits keine Ausübung von Rechten. Es fehlt an einem Verhalten, welches als Ausübung von Rechten aufgefasst werden könnte.
2. Es verstößt nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB, wenn einem Arbeitnehmer, für den das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar ist, während einer Erkrankung (oder sogar wegen Erkrankung) gekündigt wird.
Normenkette
KSchG § 23 Abs. 1; SGB IX §§ 85, 90 Abs. 2a
Verfahrensgang
ArbG Neuruppin (Urteil vom 22.04.2010; Aktenzeichen 1 Ca 1502/09) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Schlussurteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 22. April 2010 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten zuletzt noch über die Wirksamkeit einer arbeitsgeberseitigen ordentlichen Kündigung in einem Kleinbetrieb.
Der am … 1960 geborene Kläger ist seit dem 10. Mai 2000 bei dem Beklagten, der den Milchtransport vom Milchbauern zur Molkerei in speziell dafür ausgerüsteten drei Lastkraftwagen durchführt, als Milchfahrer auf einem LKW gegen ein durchschnittliches Bruttomonatseinkommen in Höhe von 1.880,38 EUR beschäftigt. Mit dem Kläger beschäftigt der Beklagte regelmäßig sieben Arbeitnehmer; zwei dieser Mitarbeiter sind seit 1996 bzw. seit 2001 beschäftigt.
Der Kläger leidet seit 14 Jahren an Diabetes und Bluthochdruck und erlitt am 12. Juni 2009 während der Arbeitszeit einen Zuckerschock, in dessen Folge er das Bewusstsein verlor und bewusstlos am Boden liegend von einem Landwirt gefunden wurde. Der Kläger wurde deswegen notärztlich versorgt. Der Beklagte nahm dies zum Anlass, Kontakt mit der für seinen Betrieb zuständigen Betriebsärztin aufzunehmen, um die Eignung des Klägers zum Führen von Lastkraftwagen feststellen zu lassen. Eine erste Untersuchung fand am 26. Juni 2009 statt. Diese Untersuchung brachte keine endgültige Klärung, weil der Kläger keinerlei ärztliche Befunde seiner ihn behandelnden Ärzte dabei hatte. Er wurde aufgefordert diese nachzureichen. Nach einer erneuten Aufforderung vom 08. September 2009 ging bei der Betriebsärztin am 15. Oktober 2009 ein Arztbericht der den Kläger behandelnden Diabetologin Dr. L. ein, aus der hervorging, dass der Kläger eine erforderlich, stationäre Neueinstellung seiner Diabeteserkrankung ablehnte. Die Betriebsärztin stellte am 16. Oktober 2009 eine Bescheinigung (vgl. Bl. 27 d. A.) aus und versandte diese an den Beklagten. Darin heißt es u. a.:
„(…)
Angaben zur Untersuchung |
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Untersuchung: |
FeV LKW |
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Nachuntersuchung |
Datum: |
16.10.2009 |
Ergebnis: |
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Nächste Untersuchung: |
10.2014 |
Bemerkung für AG: |
Bescheinigung weitergehende stationäre Untersuchung(…)” |
Mit Schreiben vom 31. Oktober, dem Kläger am selben Tag zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Kläger zum 30. November 2009.
Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner am 09. November 2009 beim Arbeitsgericht Neuruppin eingegangenen Kündigungsschutzklage gewandt sowie einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung und auf ein Zwischenzeugnis geltend gemacht.
Er hat erstinstanzlich die Sozialwidrigkeit der Kündigung und die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes behauptet und vorgetragen, der Beklagte beschäftige regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Ein Kündigungsgrund liege nicht vor. Er sei sehr wohl zum Führen von Lastkraftwagen geeignet. Eine Nichteignung sei nicht festgestellt. Vielmehr habe die Untersuchung seine Eignung nachgewiesen. Ein Kündigungsgrund liege deshalb gar nicht vor. Weiter hat er im Hinblick auf einen von ihm am 10. November 2009 gestellten Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung Sonderkündigungsschutz nach § 85 SGB IX geltend gemacht. Schließlich sei die Kündigung nach § 242 BGB unwirksam. Die Betriebsärztin habe die Streichung des Wortes „geeignet” in der Bescheinigung vom 16. Oktober 2009 nicht selbst vorgenommen. Die Kündigung sei treuwidrig und sittenwidrig. Der Beklagte habe sich selbst zu seinen Verhalten in Widerspruch gesetzt. Denn den Vorfall im Juni 2009 habe er nicht zum Anlass für die Kündigung genommen und erst 1 ½ Wochen nach dem Vorliegen des Ergebnisses der arbeitsmedizinischen Untersuchung die Kündigung ausgesprochen. Zudem sei die maßgebliche Kündigungsfrist nicht eingehalten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung in erster Instanz haben die Parteien einen Teilvergleich über die Erteilung eines Zwischenzeugnisses geschlossen.
Der Kläger hat – nach teilweiser Klagerücknahme – zuletzt beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 31. Oktober 2009 nicht aufgelöst wurde...