Entscheidungsstichwort (Thema)
betriebsbedingte Kündigung. Organisationsentscheidung. Kurzarbeit. Sozialauswahl Vereinbarung von Sonderkündigungsschutz
Leitsatz (amtlich)
1. Die Einführung von Kurzarbeit kann dagegen sprechen, dass eine unternehmerische Entscheidung auf Dauer angelegt ist.
2. Die Vereinbarung der Unkündbarkeit gegen Verzicht auf vertragliche Rechte führt nicht zur Einschränkung der Sozialauswahl für solche Arbeitnehmer, die nicht verzichtet haben.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2-3
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 15.01.2010; Aktenzeichen 6 Ca 13740/09) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlinvom 15. Januar 2010 – 6 Ca 13740/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung des Klägers sowie seine Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses.
Die Beklagte, die mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigt, stellt in ihrem Berliner Betrieb u.a. Messingstangen, Messingprofile und Drähte her. Der Kläger ist bei ihr bzw. ihrer Rechtsvorgängerin seit dem 15. November 1982 als Arbeiter beschäftigt. Er ist 1956 geboren, mit einem Grad von 50 als schwerbehindert anerkannt, verheiratet und zumindest einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Bis zur Vorlage eines ärztlichen Attestes im August 2003 war der Kläger als Zieher an der 20to-Ziehbank tätig, danach bis zur Vorlage eines weiteren Attestes im März 2004 an der 15to-Ziehbank. Zuletzt war er in der Funktion eines „Anfasers/Ofenbedieners/Einteilsägers” im Bereich der Zieherei Allgemein, bei der Beklagten auch „Rohrzieherei” genannt, beschäftigt. Jedenfalls in Vertretungsfällen wurde er auch als „Stößler” eingesetzt.
Die Beklagte ist Mitglied im Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie Berlin-Brandenburg und nimmt die Vergütungen nach den entsprechenden Regelungen des Entgeltrahmentarifvertrages für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie (ERA) vor. Nach den Stellenbeschreibungen (Bl. 89-92) sind die Tätigkeiten eines „Anfasers/Ofenbedieners/Einteilsägers” in Entgeltgruppe 2 h ERA eingruppiert. Der Kläger erhielt zuletzt Vergütung nach Entgeltgruppe 3 ERA. Sein durchschnittlicher Bruttomonatslohn betrug 3.200 EUR.
Anfang 2009 kam es zwischen der Beklagten und dem bei ihr gebildeten Betriebsrat zu Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs und Sozialplans; es ging dabei um den Abbau von 48 Stellen bzw. um eine Alternativlösung. Im Zuge dieser Verhandlungen schlossen die Betriebspartner unter dem 27. Februar 2009 eine Betriebsvereinbarung zum Zwecke der Einführung von Kurzarbeit in den Produktionsbereichen Gießerei, Rohrlinie und Indirektlinie (Betriebsvereinbarung Nr. 163). Zugleich verschoben sie mit der Betriebsvereinbarung Nr. 164 die zweite Stufe der Tariferhöhung. Außerdem schlossen sie ebenfalls unter dem 27. Februar 2009 die Rahmenbetriebsvereinbarung Nr. 165 über die Einführung eines Prämienentgelts und einer außertariflichen Leistungszulage. Darin regelten die Betriebspartner mit Wirkung zum 1. Mai 2009, bezogen auf die in dieser Betriebsvereinbarung genannten sieben Produktionsbereiche, die Abkehr von der Entlohnung nach Akkord hin zu der Einführung eines Prämienentgelts nebst einer außertariflichen Leistungszulage. Davon war auch der Produktionsbereich erfasst, dem der Kläger zuletzt angehörte. Die Einführung des Prämienentgelts sollte bei zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Betriebsvereinbarung Nr. 165 bereits tätigen Mitarbeitern durch den Abschluss eines Änderungsvertrages umgesetzt werden. Nach den Maßgaben der Ziffer 11 der Betriebsvereinbarung Nr. 165 verpflichtete sich die Beklagte gegenüber denjenigen Arbeitnehmern, die den Änderungsvertrag abschließen würden, auf den Ausspruch einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung bis zur vollständigen Beendigung der in der Produktion durchgeführten Kurzarbeit für die Jahre 2009/2010 zu verzichten. Für die Einzelheiten der Betriebsvereinbarung Nr. 165 wird auf die Anlage B 27, Bl. 121 ff. d.A. Bezug genommen.
Die Beklagte erwartete aufgrund der Einführung dieses Prämienentgelts eine Kosteneinsparung im Umfang von insgesamt 22 Arbeitsplätzen in der Produktion. In Umsetzung der Betriebsvereinbarung bot sie im März 2009 den in Frage kommenden Arbeitnehmern – so auch dem Kläger – den Abschluss eines solchen Änderungsvertrages an, der den Verzicht der Beklagten auf den Ausspruch ordentlicher betriebsbedingter Kündigungen nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung Nr. 165 vorsah und der von mehr als 80 % der betroffenen Arbeitnehmer angenommen wurde. Der Kläger schloss einen solchen Änderungsvertrag nicht ab.
Mit Schreiben vom 7. Juli 2009 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers ordentlich zum 28. Februar 2010. Zuvor informierte sie den bei ihr gebildeten Betriebsrat mit Schreiben vom 20. Mai 2009 (Bl. 145-154 d.A.) über eine beabsichtigte betriebsbedingte Kündigung und bat das Integrati...