Entscheidungsstichwort (Thema)
unternehmerische Entscheidung. leidensgerechter Arbeitsplatz
Leitsatz (amtlich)
Die unternehmerische Entscheidung einen leidensgerechten Arbeitsplatz in Wegfall zu bringen, erweist sich dann als unsachlich bzw. willkürlich, wenn der Arbeitgeber aus § 81 Abs. 4 SGB IX gleich wieder verpflichtet wäre, einen solchen zu schaffen.
Normenkette
KSchG § 1; SGB IX § 81 Abs. 4
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Urteil vom 02.12.2009; Aktenzeichen 17 Ca 12606/09) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 02. Dezember 2009 – 17 Ca 12606/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Der am …1955 geborene, verheiratete Kläger, der sechs volljährige Kinder hat, ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 13.06.1983 auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 36 d.A.) im Akkordlohn beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Metallindustrie Anwendung.
Zunächst war der Kläger als Ofenbediener und später als Zieher tätig. Im Jahr 1995 erlitt er einen Arbeitsunfall, bei dem er mehrere Finger seiner linken Hand verlor und infolgedessen mit einem Grad von 60 als schwerbehindert anerkannt wurde. Da er nach einem werksärztlichen Attest vom 29. Juli 1996 seine bis dahin ausgeübte Tätigkeit in der Zieherei bzw. als Zieher ebenso wenig ausüben konnte, wie sonstige Tätigkeiten, bei denen eine volle Funktions- bzw. Greiffähigkeit beider Hände notwendig war, setzte ihn die Beklagte ab 1996 als Kranbediener im Bereich „Zieherei Allgemein” ein. Für die dort anfallenden Aufgaben des Klägers wird auf die Tätigkeitsbeschreibung (Bl. 34 und 35 d. A.) Bezug genommen.
Auf Grund von Auftragsrückgängen schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat unter dem 27. Februar 2009 eine Betriebsvereinbarung zum Zwecke der Einführung von Kurzarbeit für die Zeit vom 01. März 2009 bis zum 31. August 2009. Die Betriebsvereinbarung über Kurzarbeit wurde in der Folgezeit durch zwei Betriebsvereinbarungen ergänzt, mit denen u. a. auch die wöchentliche Arbeitszeit weiter reduziert wurde. Mit einer weiteren Betriebsvereinbarung aus Juli 2009 verlängerten die Betriebsparteien die Kurzarbeit auf den Zeitraum vom 1. September 2009 bis zum 28. Februar 2010. Ob sich die wirtschaftliche Lage bei der Beklagten seit Sommer 2009 entspannte, ist zwischen den Parteien streitig.
Außerdem schlossen die Betriebsparteien am 27. Februar 2009 eine Rahmenbetriebsvereinbarung über die Einführung eines Prämienentgelts für bestimmte Bereiche, u. a. auch für die Rohrzieherei. Diese Rahmenbetriebsvereinbarung Nr. 165 sah unter anderem für diejenigen Arbeitnehmer, die den zur Anwendung des Prämienentgelts auf die Arbeitsverhältnisse erforderlichen Änderungsvertrag abschlossen, bis zur vollständigen Beendigung von Kurzarbeit in den Jahren 2009 und 2010 den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen vor. Insgesamt unterzeichneten 111 von 127 Arbeitnehmern das Änderungsangebot der Beklagten zur Einführung eines Prämienentgelts. Der Kläger lehnte eine entsprechende Änderungsvereinbarung ab.
Mit Schreiben vom 20. Mai 2009 (Bl. 60 ff. d. A.) hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung des Klägers aus betriebsbedingten Gründen an, für deren Begründung sie dort anführt, die Geschäftsführung habe am 19. Mai 2009 endgültig und abschließend beschlossen, die im Bereich Zieherei Allgemein eingerichtete Funktion eines „Kranbedieners” vollständig und dauerhaft in Wegfall zu bringen und die verbleibenden Aufgaben ab dem 01. Oktober 2009 von 3 anderen Mitarbeitern, die in der Funktion eines „Kranbedieners/Anfasers/Richters und Einteilsägers bzw. eines Kranbedieners/Anfasers/Ofenbedieners tätig sind, mit erledigen zu lassen, bei Bedarf auf eine Personalreserve zurückzugreifen bzw. eventuelle Verzögerungen und das Entstehen von Arbeitsrückständen in Kauf zu nehmen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Anhörungsschreibens wird auf die Anlage B 5 (Bl. 60 – 68 d. A.) Bezug genommen. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung des Klägers mit Schreiben vom 27.05.2009 u.a. mit der Begründung, die Kündigungen beträfen nur solche Mitarbeiter, die das neue Leistungsentgeltsystem nicht akzeptiert hätten, ohne dass eine Sozialauswahl stattgefunden habe. Wegen der Einzelheiten der Begründung des Widerspruchs wird auf das Schreiben des Betriebsrates vom 27.05.2009 Bezug genommen.
Ebenfalls mit Schreiben vom 20. Mai 2009 (Bl. 69 d. A.) beantragte die Beklagte beim Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung des Klägers. Diese wurde ihr mit Bescheid vom 29. Juni 2009 erteilt (Bl. 78 ff. d. A.). Nachdem die Beklagte den Bescheid erhalten hatte, sprach sie mit Schreiben vom 07. Juli 2009 dem Kläger gegenüber eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung zum 28. Februar 2010 aus und stellte ihn zugleich ab dem 1. Okto...