Entscheidungsstichwort (Thema)
Äußerungen bezüglich Hautfarbe und Herkunft als Benachteiligung nach AGG. Kündigung wegen benachteiligender Äußerungen. Beleidigung wegen Rasse durch insistierendes Nachfragen nach Herkunft. Hartnäckiges Hinterfragen der Herkunft als Benachteiligung. Kündigung wegen Verstoß gegen AGG erst nach Abmahnung
Leitsatz (amtlich)
Ein insistierendes Nachfragen nach der Herkunft, das aus dem Zusammenhang der Äußerungen rassistische Einstellungen erkennen lässt, kann eine Benachteiligung wegen der Rasse darstellen.
Eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse in Gestalt eines insistierenden Nachfragens nach der Herkunft, das aus dem Zusammenhang der Äußerungen rassistische Einstellungen erkennen lässt, wird in aller Regel erst nach einer einschlägigen Abmahnung eine Kündigung rechtfertigen können.
Normenkette
AGG § 3 Abs. 3-4, § 12 Abs. 3; BGB § 314 S. 2, § 626 Abs. 1; KSchG § 1 Abs. 1, § 4; ZPO § 92
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 30.11.2021; Aktenzeichen 3 Ca 727/21) |
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. November 2021 - 3 Ca 727/21 - wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin wird des Rechtsmittels für verlustig erklärt.
III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 5% und die Beklagte 95% zu tragen.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit zweier Kündigungen.
Die beklagte Bundesrepublik beschäftigte die im April 1968 geborene und jedenfalls bis Ende April 2021 schwerbehinderte Klägerin unter Anerkennung einer Dienstzeit seit dem 18. April 1988 als Zivilbeschäftigte der B, zuletzt als Leiterin einer Prüfgruppe für Abrechnungen mit fünf ihr unterstellten Mitarbeitern.
Am 8. März 2021 nahm die verheiratete Regierungssekretärin S eine Tätigkeit als Rechnungsprüferin in der der Klägerin unterstellten Prüfgruppe auf. Ein Großvater von Frau S stammt aus der Republik Sambia. Frau S hat eine dunkle Hautfarbe.
Im Hinblick auf Äußerungen, die die Klägerin in Gesprächen am 8., 11 und 12 März 2021 gegenüber Frau S gemacht haben soll, fasste die Beklagte den Entschluss, die Klägerin zu kündigen.
Am 12. Mai 2021 stellte die Beklagte die Klägerin widerruflich von der Arbeitsleistung frei.
Die Beklagte beteiligte Integrationsamt, Schwerbehindertenvertretung und Personalrat. Zu den diesbezüglichen Einzelheiten wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts verwiesen.
Die Klägerin erhielt am 20. Juli 2021 ein Schreiben vom selben Tag, mit dem die Beklagte die fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses erklärte. Mit der am 4. August 2021 zugestellten Klage zum Arbeitsgericht hat sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit dieser Kündigung gewandt.
Am 13. Oktober 2021 erhielt die Klägerin eine hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung erklärte ordentliche Kündigung. Hiergegen hat sie sich mit Klageerweiterung, zugestellt am 26. Oktober 2021, gewandt.
Die Klägerin hat vor dem Arbeitsgericht behauptet, sie habe in einem Gespräch am 8. März 2021 anlässlich einer Bemerkung zum Thema: "Urlaub in Deutschland" Frau S gefragt: "Apropos Deutschland. Sie sind nicht ganz deutsch, was für ein Einschlag ist bei Ihnen drin, wenn ich fragen darf?" Bezogen auf den Ehemann der Klägerin habe sie, nachdem Frau S von sich aus dieses Thema angesprochen hatte, an Frau S die Frage gestellt: "Also blond und blauäugig?" Sie hat die Auffassung vertreten, außerordentliche und ordentliche Kündigung seien unwirksam. Ausländerfeindliche, rassistische, diskriminierende oder extremistische Äußerungen oder Verhaltensweisen lägen als Kündigungsgrund weder objektiv noch subjektiv vor. Im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sei der Vorrang der Abmahnung als milderes Mittel zu beachten. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sei nicht anwendbar. Sie und Frau S seien gleichermaßen Beschäftigte.
Soweit für die Berufung von Interesse hat die Klägerin vor dem Arbeitsgericht beantragt,
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 20. Juli 2021 beendet wird;
2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 13. Oktober 2021 beendet wird.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin habe am 8. März 2021 in einem ersten Gespräch zu Frau S gesagt, Sie sehe gar nicht deutsch aus, wo komme Sie oder Ihre Eltern denn her? Auf deren Antwort, aus Deutschland, habe die Klägerin unter Bezugnahme auf die Hautfarbe erneut nachgefragt, wo Frau S herkomme und sich nach dem Hinweis von Frau S auf ihren afrikanischen Großvater erkundigt, aus welchem afrikanischen Land genau der Großvater stamme. Im Hinblick auf die Vorstellung von Frau S gegenüber den weiteren Mitgliedern der Prüfgruppe habe die Klägerin geäußert, die Herkunft von Frau S werde sie nicht erzählen. Das sollten die Kollegen selbst erfragen. I...