Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen zum Hinausschieben der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses
Leitsatz (redaktionell)
1. Haben die Parteien eines Rechtsstreits vereinbart, die Beendigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses über den gemäß § 44 Nr. 4 TV-L mit Erreichen des gesetzlich festgelegten Alters zum Bezug einer abschlagsfreien Regelaltersrente bestimmten Beendigungszeitpunkt hinaus zu verschieben, und fehlt es für diese Vereinbarung an einem Sachgrund im Sinne des Teilzeit- und Befristungsgesetzes, kommt es maßgeblich darauf an, ob § 41 Satz 3 SGB VI als Rechtsgrundlage dieser Vereinbarung mit § 5 Nr. 1 der am 18.03.1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 70/1999/EG vom 28.06.1999 vereinbar ist.
2. § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung verpflichtet die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Vermeidung des missbräuchlichen Einsatzes aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder Arbeitsverhältnisse dazu, effektiv und mit verbindlicher Wirkung mindestens eine der dort aufgeführten Maßnahmen zu ergreifen, wenn ihr innerstaatliches Recht keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen enthält. § 41 Satz 3 SGB VI genügt diesen Anforderungen nicht, da keiner der in § 5 Nr. 1 Buchst. a bis c aufgeführten drei Maßnahmen in dieser Regelung aufgeführt ist, und ermöglicht zudem ein zeitlich uneingeschränktes und mehrfaches Hinausschieben der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze.
3. Der Kammer erscheint fraglich, ob die in der amtlichen Begründung des § § 41 Satz 3 SGB VI angeführten grundsätzlich legitimen Ziele eine Abweichung von den in § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung geregelten Maßnahmen zur Vermeidung eines Missbrauchs von Mehrfachbefristungen erfordern oder eine solche Abweichung angemessen erscheint.
4. Aus Sicht der Kammer bedarf es einer Klärung der Frage, ob die in § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung vorgeschriebenen Maßnahmen im Hinblick auf den mit der Rahmenvereinbarung verfolgten Zweck im vorliegenden Fall erforderlich sind.
5. Klärungsbedürftig ist aus Sicht der Kammer auch die Frage, ob die in § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung vorgeschriebenen Maßnahmen für die vorliegende Fallkonstellation deshalb entbehrlich sein könnten, weil durch die Regelung des § 41 S. 3 SGB VI einem Arbeitnehmer der Verbleib im Arbeitsverhältnis ermöglicht wird, der ansonsten aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden müsste. Die Regelung des § 41 S. 3 SGB VI ließe sich auch dahingehend auslegen, dass hierdurch ein Hinausdrängen älterer Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis durch Befristung des Arbeitsverhältnisses auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abgemildert wird.
Normenkette
SGB VI § 41 S. 3; TV-L § 30 Abs. 1 S. 1, § 44 Nr. 4; EGRL 78/2000 Art. 1 Fassung: 2000-11-27, Art. 2 Abs. 1 Fassung: 2000-11-27, Art. 6 Abs. 1 Fassung: 2000-11-27; EGRL 70/1999 Anhang Fassung: 1999-06-28; EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung Befristete Arbeitsverträge § 5 Nr. 1 Buchst. a Fassung: 1999-03-18, Buchst. b Fassung: 1999-03-18, Buchst. c Fassung: 1999-03-18
Verfahrensgang
ArbG Bremen (Aktenzeichen 3 Ca 3165/15) |
Tenor
1. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen vorgelegt:
Ist § 5 Nr. 1 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es den Arbeitsvertragsparteien ohne weitere Voraussetzungen zeitlich unbegrenzt ermöglicht, die vereinbarte Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses, gegebenenfalls auch mehrfach, hinauszuschieben, nur weil der Arbeitnehmer durch Erreichen der Regelaltersgrenze einen Anspruch auf Altersrente hat?
2. Falls der Gerichtshof die Frage 1 bejaht:
Gilt die Unvereinbarkeit der in Frage 1 genannten nationalen Regelung mit § 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung auch im Falle des erstmaligen Hinausschiebens der Beendigung?
3. Sind Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (Richtlinie 2000/78/EG) und/oder die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es den Arbeitsvertragsparteien ohne weitere Voraussetzungen zeitlich unbegrenzt ermöglicht, die vereinbarte Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses, gegebenenfalls auch mehrfach, hinauszuschieben, nur weil der Arbeitnehm...