Entscheidungsstichwort (Thema)
Behinderung des Betriebsrats durch Androhung einer Abmahnung durch Arbeitgeber. Feststellungsklage des Arbeitgebers gegen unzulässige Betriebsratssitzung. Kein Recht des Betriebsrats zur Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen durch Betriebsratsmitglieder. Androhung eines Ordnungsgeldes bei Unterlassungsverpflichtung
Leitsatz (amtlich)
1. Der Arbeitgeberin ist es nicht erlaubt durch ihre Repräsentanten die Betriebsratsarbeit dadurch zu behindern, dass sie bereits im Vorfeld die Teilnahme der Betriebsratsmitglieder an einer angezeigten Betriebsratssitzung durch Androhung von Abmahnungen oder Verdienstkürzungen verhindert.
2. Die Teilnahme des Betriebsratsmitglieds an den einzelnen Betriebsratssitzungen ist dessen betriebsverfassungsrechtliche Pflicht. Dies gilt auch dann, wenn im Einzelfall die Erforderlichkeit für eine Betriebsratssitzung nicht gegeben ist oder aber ein Verstoß gegen § 30 Satz 2 BetrVG vorliegt.
3. Ist die Betriebsratssitzung im Einzelfall offensichtlich unzulässig ist, weil z.B. entgegen § 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG Arbeitskampfmaßnahmen gegen die Arbeitgeberin geplant werden sollen, ist die Arbeitgeberin auf den Rechtsweg verwiesen. Sie kann im Wege eines Feststellungsantrags zur Grundlage für die spätere Feststellung eines groben Verstoßes i.S.v. § 23 Abs. 3 BetrVG vorgehen oder mittels einstweiliger Verfügung zur Untersagung der Betriebsratssitzung.
4. Mit dem Begehren, die vorherige Androhung von Abmahnungen und Verdienstkürzungen bei Teilnahme der Betriebsratsmitglieder an einer angezeigten Betriebsratssitzung zu unterlassen, macht der Betriebsrat keine ihm nicht zustehenden individuellen Rechte der einzelnen Betriebsratsmitglieder als Arbeitnehmer geltend.
Normenkette
ArbGG § 87 Abs. 2, § 89 Abs. 2; BetrVG § 23 Abs. 3, §§ 30, 74 Abs. 2, § 78; ZPO § 253 Abs. 2, § 520 Abs. 3, § 890 Abs. 1; ArbGG § 72 Abs. 2; ZPO § 890 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Wesel (Entscheidung vom 20.01.2023; Aktenzeichen 1 BV 27/22) |
Tenor
I.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Wesel vom 20.01.2023 - 1 BV 27/22 - wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen den Zuspruch des Arbeitsgerichts mit den Anträgen zu 1 a), 1 b), 1c) und 1 e) richtet.
II.
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Wesel vom 20.01.2023 - 1 BV 27/22 - teilweise wie folgt abgeändert:
Der Antrag zu 2) wird dahingehend gefasst, dass der Beteiligten zu 2) für jeden Fall des Zuwiderhandelns entgegen den Anträgen zu 1 a), 1 b), 1c ), 1 e) und 1 f) ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 5.000,00 Euro angedroht wird.
III.
Die weitergehende Beschwerde des Beteiligten zu 2) wird zurückgewiesen.
IV.
Die Rechtsbeschwerde wird für die Beteiligte zu 2) zugelassen, soweit sie mit dem Antrag zu 1 f) unterlegen ist. Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Beteiligten streiten über Unterlassungsansprüche aus § 78 Satz 1 BetrVG.
Der Antragsteller (im Folgenden Betriebsrat) ist der bei der Beteiligten zu 2) (im Folgenden Arbeitgeberin) gebildete siebenköpfige Betriebsrat. Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der Kartoffel verarbeitenden Lebensmittelindustrie am Standort in Goch mit rund 160 Beschäftigten.
Ausweislich des Protokolls zu TOP 6 der Sitzung am 12.10.2022 beschloss der Betriebsrat zu seiner Sitzung am 19.10.2022 den Gewerkschaftssekretär Q. der NGG - einer im Betrieb der Arbeitgeberin vertretenen Gewerkschaft - sowie Rechtsanwältin W., als Rechtsberatung einzuladen. Rechtsanwältin W. hatte den Betriebsrat in dem Verfahren vor dem Arbeitsgericht Wesel zum Az. 1 BV 11/22 vertreten. In diesem war es um die Art und Weise der Durchführung von Ziffer 5 der Betriebsvereinbarung über rauchfreie Arbeitsplätze gegangen. An dem Termin am 19.10.2022 waren sowohl der Gewerkschaftssekretär Q. als auch Rechtsanwältin W. verhindert. Für den 21.10.2022 um 9:00 Uhr plante der Betriebsrat deshalb eine außerplanmäßige Sitzung, zu welcher er den Gewerkschaftssekretär Q. der NGG sowie Rechtsanwältin W. als Rechtsberatung einladen wollte.
Mit E-Mail vom 17.10.2022 informierte der Betriebsratsvorsitzende die Geschäftsführung über die geplante Betriebsratssitzung und erbat die Freistellung der Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit. Darüber hinaus ließ der Betriebsratsvorsitzende den Besprechungsraum mit der Bezeichnung "RTC" für den 21.10.2022 für die Zeit von 9.00 Uhr bis 13.30 Uhr reservieren, was innerhalb der betriebsüblichen Arbeitszeit lag. Mit E-Mail vom 18.10.2022 teilte der Personalleiter dem Betriebsratsvorsitzenden folgendes mit:
"Sehr geehrter Herr K.
da bereits in dieser Woche am Mittwoch und in der nächsten Woche am Mittwoch eine ordentliche Betriebsratssitzung stattfindet erfolgt keine Freistellung für den 21.10.2022. Sollten Sie bereits eventuell von den Führungskräften eine Freistellung erhalten haben, ist diese hiermit widerrufen.
Sollten die Mitarbeiter dennoch nicht zu Arbeit erscheinen, werden wir die Mitarbeiter we...