Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines in der Qualitätskontrolle tätigen Chemielaboranten wegen Begehung außerbetrieblicher Straftaten
Leitsatz (redaktionell)
Außerhalb des Betriebes vorgenommene Sprengversuche eines Chemielaboranten rechtfertigen nicht die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses, sofern keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die verwendeten Chemikalien nicht beim Arbeitgeber entwendet wurden und der Arbeitnehmer auch keine Synthesen in den Räumen der Arbeitgeberin durchgeführt hat. Es verstößt auch nicht gegen die allgemeine Pflicht zur Rücksichtnahme, wenn der Arbeitnehmer zwar eine außerdienstliche Straftat begangen hat, dies jedoch nicht unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen. Im Fehlverhalten des Arbeitnehmers liegt schließlich auch kein personenbedingter Kündigungsgrund.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Solingen (Entscheidung vom 02.03.2017; Aktenzeichen 3 Ca 1389/16 lev) |
Tenor
I.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 02.03.2017 - 3 Ca 1389/16 lev - teilweise abgeändert: Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 01.09.2016 nicht aufgelöst ist. Die Berufung des Klägers gegen das vorgenannte Urteil des Arbeitsgerichts Solingen im Übrigen wird zurückgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu 2/5 und die Beklagte zu 3/5 zu tragen.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund fristloser Kündigung, über einen Anspruch auf Erteilung eines Zwischen-, hilfsweise eines Endzeugnisses und über einen Weiterbeschäftigungsanspruch.
Der Kläger, geboren am 08.12.1971, ledig und ohne Unterhaltsverpflichtungen, wurde zum 02.09.1991 von der Rechtsvorgängerin der Beklagten eingestellt. Für die Beklagte wurde er als Chemielaborant in der Abteilung Quality Control zu einem Bruttomonatsgehalt iHv. EUR 3.737,00 tätig. Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.
Die Beklagte stellt Silikone und andere fortschrittliche Werkstoffe, ua. spezielle Silane, Elastomere, Dicht- und Klebemittel, Flüssigkeiten und Urethane her. Der Betrieb der Beklagten liegt in einem Chemiepark, in dem weitere Chemieunternehmen angesiedelt sind. Im Chemiepark insgesamt werden mehr als 5.000 Chemikalien hergestellt.
Im Jahr 2012 erteilte die Beklagte dem Kläger drei Abmahnungen (Bl. 108 ff. dA.). Wegen des Inhalts der Abmahnungen und der abgemahnten Vertragsverstöße im Einzelnen wird auf die Akte verwiesen. Insbesondere wurde jedoch mit Schreiben vom 15.05.2012 (Bl. 109 f. dA.) der Umgang des Klägers mit flüssigem Stickstoff abgemahnt. Dem Kläger wurde im Nachgang zu dieser Abmahnung die Erlaubnis zur Bestellung von chemischen Stoffen entzogen und er wurde in einen anderen Bereich der Abteilung Quality Control versetzt.
Der Kläger arbeitete in einem Bereich, der von der Beklagten als sicherheitsrelevant eingestuft wurde. Im Rahmen seiner eigentlichen Tätigkeit arbeitete er nicht mit Stoffen, die geeignet wären, sprengbares Material zu produzieren. Er hatte jedoch Zugang zu verschiedenen chemischen Stoffen (vgl. iE. die Aufstellung Bl. 80 dA.), die entweder brandfördernd, ätzend, giftig, gesundheitsschädigend oder umweltgefährlich sind oder eine systemische Gefährdung darstellen. Unter anderem hatte der Kläger Zugang zu Tuluol, das einen Grundstoff für die Herstellung von Trinitrotoluol (TNT) bildet. Seit Mitte 2012 stellten sich die Aufgaben des Klägers im Einzelnen wie folgt dar:
- Probenverwaltung (inkl. Datenbankführung und -pflege, Probenentsorgung)
- Probenvorbereitung Elastomere (inkl. UV-vernetzende Systeme im Gebäude R20)
- anwendungstechnische Prüfungen (zB. Vernetzungsverhalten, Haftungsprüfungen)
- mechanisch-physikalische Analysen, zB. Druckverformungstests, Härte, Dichte, Zugversuche
- Rheologie: verschiedene Viskositätsmessungen (Kugelfall, Rotation), Mooney, Reaktivitätsmessungen
- Elektrische Prüfungen (Hochspannungskriechstromfestigkeit in Gebäude R20, Oberflächenwiderstand)
Der Kläger war vorwiegend im Gebäude Q18 im Quality Control Labor im Bereich "LSR" (Liquid Silicon Rubber) tätig. Zeitweise war er auch im Gebäude R20 tätig, um dort Sonderprüfungen vorzunehmen. Die Laborräume im Gebäude Q18 sind miteinander durch Zwischentüren verbunden. Alle Räume sind durch Türschlösser gesichert, wobei jeder Mitarbeiter - auch der Kläger - einen Schlüssel für den Büroraum besitzt, in dem wiederum die Schlüssel für die einzelnen Laborräume aufbewahrt werden. Lediglich bei Abwesenheit aller dort beschäftigten Mitarbeiter werden die einzelnen Laborräume abgeschlossen. Chemikalien werden in den Laborräumen in abschließbaren Sicherheitsschränken gelagert. Die Mitarbeiter des Labors haben Zugriff auf den Inhalt der Sicherheitsschränke und auf die hierin befindlichen Chemikalien. Aus diesem Grund wird die Zugangs...