Entscheidungsstichwort (Thema)

Fristlose Kündigung eines Schulhauswartes wegen des Verdachtes, er habe Marihuana in einem Rucksack in die von ihm betreute Schule mitnehmen wollen. Einzelfallentscheidung nach Beweisaufnahme

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Verdacht gegen den Arbeitnehmer kann im Lauf des Kündigungsschutzprozesses bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz rückwirkend ausgeräumt oder verstärkt werden, wobei die (Indiz-) Tatsachen bei Kündigungsausspruch vorgelegen haben müssen.

2. Die Regelung des § 8 MT ArbG wurde in das seit dem 01.10.2005 geltende Tarifwerk des öffentlichen Dienstes nicht übernommen. Nach Außerkrafttreten des § 8 Abs. 8 S. 1 MT ArbG ist der Arbeiter des öffentlichen Dienstes nicht mehr verpflichtet, sich so zu verhalten, wie es von Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet werden kann.

3. Mit einer außerdienstlichen Straftat verstößt der Arbeitnehmer gegen die schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme, wenn sie einen Bezug zu seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder zu seiner Tätigkeit hat und dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer verletzt werden. Das ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer die Straftat zwar außerdienstlich, aber unter Nutzung von Betriebsmitteln oder betrieblichen Einrichtungen begangen hat.

 

Normenkette

BGB § 626

 

Verfahrensgang

ArbG Hagen (Westfalen) (Urteil vom 15.09.2010; Aktenzeichen 3 Ca 710/10)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hagen vom 15.09.2010 – 3 Ca 710/10 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 11.03.2010, dem Kläger zugegangen am 17.03.2010, nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits weiterzubeschäftigen.

Die erstinstanzlichen Kosten trägt der Kläger zu 29 %, die Beklagte zu 71 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger zu 17 %, die Beklagte zu 83 %.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis durch fristlose Kündigung der Beklagten beendet ist.

Der am 31.01.1974 geborene, ledige, niemandem zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 15.10.2008 als Hauswart an dem von der Beklagten getragenen C1-Berufskolleg tätig, nachdem er zuvor seit Mitte 2006 aufgrund befristeter Arbeitsverträge als Objektbetreueraushilfe beschäftigt wurde. Er erzielte zuletzt einen Bruttomonatslohn von ca. 2400,00 EUR. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Bestimmungen des TVöD-VKA Anwendung.

Die Beklagte beschäftigt mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten. Es besteht ein Gesamtpersonalrat.

Als Hauswart oblagen dem Kläger die Pflege der Außenanlage und einfachere Reparaturarbeiten. Daneben besteht die Funktion des Hausmeisters, der mehr für die technischen Angelegenheiten zuständig ist.

Mit Ausnahme von Vertretungsfällen ist der Hausmeister morgens in der Schule anwesend, während der Hauswart seinen Dienst nachmittags versieht. An Samstagen arbeiten Hauswart und Hausmeister im Wechsel.

Hauswart und Hausmeister sind Ansprechpartner für die das Objekt aufsuchenden Personen.

Am 25.04.2009 (Samstag) wurde der Kläger gegen 6.30 Uhr in Hagen polizeilich überprüft. Aufgrund der Feststellung eines starken Geruchs nach Betäubungsmitteln durchsuchte die Polizei den von ihm mitgeführten Rucksack und fand dort Marihuana sowie zwei Portionierungsmühlen, eine digitale Feinwaage und eine Zigarrenröhre mit BTM-Inhalt auf. Das Marihuana befand sich in mehreren Einzeltüten, die wiederum Kleinportionen enthielten.

In der Beschuldigtenvernehmung vom 25.04.2009 durch die Polizei erklärte der Kläger u.a., er habe das Marihuana zu medizinischen Zwecken kurz nach Ostern in Holland erworben. Er leide seit November 2008 an einem Bandscheibenvorfall. Er bewahre das Marihuana normalerweise zu Hause auf, habe es aber am Morgen in Gedanken in den Rucksack gesteckt. Den Kauf des Marihuanas habe er durch Aufnahme eines Kredites finanziert. Er beabsichtigte, eine neue Wohnung zu beziehen, der Schlüssel habe ihm an diesem Wochenende übergeben werden sollen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Einlassung des Klägers bei der Polizei wird auf die von dem Kläger vorgelegte Kopie der „Fortsetzung der Beschuldigtenvernehmung” Bezug genommen.

Der Kläger nahm am 25.04.2009 seinen Dienst nicht auf und entschuldigte sein Fernbleiben gegenüber der Beklagten damit, er sei auf dem Weg zur Arbeit gestürzt und habe sich ärztlich behandeln lassen müssen. In der Folgezeit stellte sich die Unwahrheit dieser Einlassung heraus. Die Beklagte erteilte ihm wegen unentschuldigten Fernbleibens von der Arbeit mit Schreiben vom 04.05.2009 eine Abmahnung.

Mit Urteil vom 02.03.2010 verurteilte das Amtsgericht Hagen den Kläger zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren u...

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