Entscheidungsstichwort (Thema)

Gutschrift von Arbeitszeit und Entfernung einer Abmahnung bei unzeitgemäßer Teilnahme an einer Schulung des Wahlvorstands

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach § 20 Abs. 3 Satz 1 BetrVG trägt die Arbeitgeberin die Kosten der Betriebsratswahl; dazu gehören alle Kosten, die mit der Einleitung und Durchführung der Wahl sowie mit der gerichtlichen Überprüfung des Wahlergebnisses verbunden sind.

2. Die Kostentragungspflicht der Arbeitgeberin nach § 20 Abs. 3 BetrVG ist auch ohne konkrete Regelung auf die erforderlichen Kosten der Betriebsratswahl begrenzt; die zu § 40 Abs. 1 BetrVG entwickelten Grundsätze gelten entsprechend.

3. Gemäß § 20 Abs. 3 Satz 2 BetrVG ist die Arbeitgeberin nicht berechtigt, das Arbeitsentgelt wegen Versäumnis von Arbeitszeit, die zur Betätigung im Wahlvorstand erforderlich ist, zu mindern.

4. Zur Betätigung im Wahlvorstand gehört auch die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung zur Unterweisung in die Aufgaben eines Wahlvorstandes; das Arbeitsentgelt ist daher auch fortzuzahlen (und folglich Arbeitszeit dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben), soweit die Mitglieder des Wahlvorstandes Arbeitszeit infolge einer notwendigen und angemessenen Schulung zum Zwecke einer ordnungsgemäßen Vorbereitung und Durchführung der Wahl versäumen.

5. Die Frage der zeitlichen Lage einer Schulungsmaßnahme betrifft nicht deren Erforderlichkeit; im Hinblick auf die zeitliche Lage der Schulungsmaßnahme enthält § 37 Abs. 6 BetrVG in den Sätzen 3 bis 6 für Schulungsmaßnahmen von Betriebsratsmitgliedern, nicht jedoch für Wahlvorstandsmitglieder, einen gesonderten Konfliktlösungsmechanismus.

6. Nimmt ein Wahlvorstandsmitglied an einer erforderlichen Schulung teil und werden dabei hinsichtlich der zeitlichen Lage der Schulung betriebliche Notwendigkeiten außer Acht gelassen, berührt dieser Umstand jedenfalls nicht den Vergütungsanspruch des Wahlvorstandsmitglieds; selbst für ein Betriebsratsmitglied ist anerkannt, dass dieses sogar dann Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts hat, wenn der Betriebsrat die Unterrichtung der Arbeitgeberin ganz unterlässt und das Betriebsratsmitglied dennoch an der Schulungsveranstaltung teilnimmt, wenn im Übrigen dessen Voraussetzungen vorliegen.

7. Die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung zur Unterweisung in die Aufgaben eines Wahlvorstandes kann nur dann wirksam abgemahnt werden, wenn die etwaige Außerachtlassung betrieblicher Notwendigkeiten bei ihrer zeitlichen Lage für die Arbeitnehmerin offenkundig gewesen ist.

8. Um die freie Betätigung eines Wahlvorstandsmitglieds und die ordnungsgemäße Durchführung der Betriebsratswahl zu gewährleisten, kann nicht jede Verkennung der objektiven Rechtslage nachteilige Auswirkungen für das betreffende Wahlvorstandsmitglied haben; der Sinn und Zweck der Vorschriften des Wahlverfahrens und der besondere zeitliche Ablauf einer Betriebsratswahl einerseits sowie der für den Wahlvorstand fehlende gesetzlich geregelte Konfliktlösungsmechanismus und die eingeschränkten rechtlichen Durchsetzungsmöglichkeiten im Eilverfahren andererseits lassen es erforderlich erscheinen, die arbeitsvertragliche Vorwerfbarkeit von Pflichtverletzungen bei der Beurteilung der zeitlichen Lage von Schulungsmaßnahmen und der Berücksichtigung betrieblicher Belange auf Fälle zu begrenzen, in denen betriebliche Belange offenkundig entgegenstehen.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 314 Abs. 2, § 611 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 S. 1; BetrVG § 20 Abs. 3 Sätze 1-2, § 37 Abs. 6, § 40 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 03.11.2010; Aktenzeichen 16 Ca 208/10)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 3. November 2010 - 16 Ca 208/10 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Gutschrift von Arbeitszeit und Entfernung einer Abmahnung im Zusammenhang mit der Teilnahme der Klägerin an einer Wahlvorstandsschulung.

Die Klägerin ist seit Juni 2002 bei der Beklagten als Buchhalterin tätig. Ihr Gehalt betrug zuletzt 2.764,82 € brutto monatlich. Im Betrieb der Beklagten sind 38 Arbeitnehmer/innen tätig, es besteht ein Betriebsrat.

Die Klägerin hat im Betrieb der Beklagten u.a. die Aufgaben, per Mahnung, Korrespondenz und Telefon Druck auf säumige Schuldner auszuüben, Zahlungen und Teilzahlungen zu verbuchen, den Dialog mit dem Hausanwalt zu pflegen und Informationen über die wirtschaftliche Lage der Schuldner zu sammeln. Anfang des Jahres steht die Beklagte regelmäßig im Zusammenhang mit der Erstellung des Jahresabschlusses, der von Wirtschaftsprüfern zu prüfen und der amerikanischen Konzernbuchhaltung mitzuteilen ist, ist unter Zeitdruck.

Die Klägerin wurde vom bestehenden Betriebsrat gemäß § 16 BetrVG zum Mitglied des Wahlvorstandes für die Betriebsratswahlen 2010 bestellt. Sie war dessen Vorsitzende. Die Betriebsratswahl 2010 erfolgte im Betrieb der Beklagten erstmals nach dem vereinfachten Wahlverfahren gem. § 14 a BetrVG.

Am 7. Januar 2010 fand die erste Sitzung ...

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