Entscheidungsstichwort (Thema)
Benachteiligung des schwerbehinderten Stellenbewerbers durch Vorlage einer Vertragsklausel zur tatsächlichen Nichtanwendbarkeit des Schwerbehindertengesetzes. Entschädigungsanspruch bei Nichteinstellung nach Offenbarung der Schwerbehinderung
Leitsatz (amtlich)
Enthält ein Arbeitsvertragsformular, das dem Bewerber nach einem Einstellungsgespräch zur Unterzeichnung vorgelegt wird, die Formulierung "Der Mitarbeiter erklärt, dass er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes nicht unterliegt.", so liegt allein hierin eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung nach § 3 S. 1 AGG. Das gilt jedenfalls in den Fällen, in denen die Schwerbehinderung keinerlei Auswirkungen auf die auszuübende Tätigkeit haben kann.
Normenkette
SGB IX § 81 Abs. 2 S. 1; AGG § 15 Abs. 2 S. 2, § 22
Verfahrensgang
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 27.06.2017; Aktenzeichen 20 Ca 22/17) |
Tenor
Auf die Anschlussberufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 27. Juni 2017 (20 Ca 22/17) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 8.100,- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Februar 2017 zu zahlen.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um einen Entschädigungsanspruch wegen einer vom Kläger behaupteten Diskriminierung als Schwerbehinderter.
Der schwerbehinderte Kläger hat sich mit einem Anschreiben vom 27. Dezember 2016 (Anlage B 3, Bl. 100 d. A.) um eine Hauswartstelle bei der Beklagten beworben. Nach einem Vorstellungsgespräch am 04. Januar 2017 arbeitete er vom 09. bis zum 11. Januar 2017 zur Probe bei der Beklagten.
Da die Beklagte mit den Leistungen des Klägers bei der Probearbeit sehr zufrieden war, entschloss sie sich, ihm ein Angebot zum Abschluss eines Arbeitsvertrages zu unterbreiten. Hierzu führte sie durch ihren technischen Leiter Herrn B. am 11. Januar 2017 ein Gespräch mit dem Kläger, in dem sie ihm unter anderem mitteilte, dass ihre durchschnittlichen Einstiegsgehälter zwischen € 2.300,00 und € 2.500,00 lägen. Die Parteien einigten sich schließlich auf ein Einstiegsgehalt von € 2.700,00 brutto. Am selben Tag übergab die Beklagte dem Kläger den von ihr bereits unterzeichneten, als Anlage K 1 (Bl. 4 bis 9 d. A.) vorliegenden Arbeitsvertrag. Dieser beinhaltet in § 1 Abs. 1 eine Befristung des Arbeitsverhältnisses vom 01. Februar 2017 bis zum 31. Januar 2018 sowie in § 5a die Regelung, dass dem Mitarbeiter kein Dienstwagen zur Verfügung steht. § 9 Abs. 1 des Arbeitsvertrages lautet wie folgt:
"Der Mitarbeiter versichert, dass er arbeitsfähig ist, nicht an einer infektiösen Erkrankung leidet und keine sonstigen Umstände vorliegen, die ihm die vertraglich zu leistende Arbeit jetzt oder in naher Zukunft wesentlich erschweren oder unmöglich machen. Der Mitarbeiter erklärt weiter, dass er zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Bestimmungen des Schwerbehindertengesetzes nicht unterliegt. Sofern etwa die Voraussetzungen dafür später eintreten, wird er das Unternehmen hiervon unverzüglich in Kenntnis setzen."
Der Kläger hat diesen Vertrag nicht sogleich unterschrieben, sondern mit nach Hause genommen, um ihn sich in Ruhe durchzulesen.
Am 12. Januar 2017 teilte er der Beklagten per E-Mail mit, dass er einige Änderungswünsche hinsichtlich des Vertragsinhalts habe. So wünschte er in § 1 Abs. 1 des Vertrages eine Ergänzung dahingehend, dass ihm spätestens zum 31. Oktober 2017 mitgeteilt werden solle, ob eine Entfristung erfolge. Ferner begehrte er die Zurverfügungstellung eines Dienstwagens für berufliche Zwecke. § 9 Abs. 1 sollte in Gänze gestrichen werden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der E-Mail wird auf deren Inhalt (Anlage B 1, Bl. 29 bis 31 d. A.) verwiesen.
Aufgrund dieser E-Mail kam es noch am selben Tag zu einem Telefonat zwischen dem Kläger und der Geschäftsführerin Frau K., in dem der Kläger der Beklagten erstmals mitteilte, dass er schwerbehindert sei. Was im Rahmen des Telefonats des Weiteren gesagt worden ist, ist zwischen den Parteien streitig.
Am 13. Januar 2017 führte der Kläger mit Frau E. von der Beklagten zwei Telefonate, deren Gesprächsinhalte ebenfalls streitig sind; in einem dritten Telefonat teilte Frau E. ihm noch am selben Tag mit, dass man ihn nicht einstellen wolle. Parallel hierzu kommunizierte Frau E. mit der Geschäftsführerin der Beklagten per E-Mail bzw. whatsapp. Dort heißt es u.a. (Anl. B 5, Bl. 104 ff d.A.):
"...Keine 10 Min. später rief er an und meinte, er müsse seinem jetzigen Arbeitgeber bis 15.00 Uhr eine Entscheidung mitteilen, sonst wäre die Vereinbarung, eine kürzere Kündigungsfrist zuzulassen, hinfällig. Ich bohrte dann ein bisschen nach und auch ich fand das Gespräch an sich sehr positiv. ...
Meine Meinung: Wenn ich mit Herrn G. spreche, hört sich immer alles ganz toll an... er kann gut reden... allerdings bin ic...