Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Auswertung von Bildmaterial zu Kassiervorgängen durch den Arbeitgeber
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 6 b Abs. 5 BDSG sind die Daten einer offenen Videoüberwachung zur Wahrnehmung des Hausrechts und zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke in einem öffentlich zugänglichen Ladenlokal unverzüglich zu löschen, wenn sie zur Erreichung des Zwecks nicht mehr erforderlich sind oder schutzwürdige Interessen der Betroffenen einer weiteren Speicherung entgegenstehen.
2. Mit dieser Vorschrift ist es nicht vereinbar, wenn ein Ladeninhaber nach Ablauf eines Dreimonatszeitraums die betriebswirtschaftlichen Zahlen auswertet und wegen dabei zutage getretener Auffälligkeiten ab dem 15. des Folgemonats die Videoaufzeichnungen des abgelaufenen Dreimonatszeitraums auswertet, welche lückenloses Bildmaterial zu sämtlichen Kassiervorgängen der zurückliegenden Arbeitswochen enthalten.
3. Wegen der Intensität der Persönlichkeitsrechtsverletzung durch den Verstoß gegen den Datenschutz besteht ein Beweisverwertungsverbot. Die fraglichen Videokonsequenzen dürfen nicht zum Nachweis der Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches verwandt werden.
4. Ein Beweisverwertungsverbot besteht in dieser Situation auch bezüglich der Aufnahmen der Videoüberwachung im nicht öffentlich zugänglichen Büroraum mit dort befindlichem Tresor. Die - anlasslose - Videoüberwachung dort ist nicht nach § 32 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 BDSG gerechtfertigt. Einer auf § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG gestützten Rechtfertigung der Auswertung der Videoaufzeichnungen steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entgegen, weil auch die nach § 28 Abs. 1 Nr. 2 BDSG erhobenen Daten zeitnah hätten ausgewertet und gelöscht werden müssen (wie zu 2.).
Normenkette
BDSG § 6b; ZPO § 286; BDSG §§ 32, 28
Verfahrensgang
ArbG Bocholt (Entscheidung vom 23.06.2016; Aktenzeichen 4 Ca 333/16) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bocholt vom 23.06.2016 - 4 Ca 333/16 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch darüber, ob die Klägerin dem Beklagten Schadensersatz in Höhe von 9.840,72 € schuldet wegen behaupteter Unredlichkeiten bei der Verkaufstätigkeit und Kassenführung im Ladenlokal des Beklagten in den Monaten November 2015 bis Januar 2016.
Die 1972 geborene Klägerin war seit dem 01.09.2014 bei dem Beklagten als Verkäuferin in dessen Lottoannahmestelle beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war zunächst auf ein Jahr befristet. Mit Vertrag vom 31.08.2015 verlängerten die Parteien das Arbeitsverhältnis bis zum 29.02.2016 (Bl. 6, 7 GA). Die monatliche Arbeitszeit betrug 120 Stunden. Die Klägerin erhielt einen Stundenlohn von 9,00 € brutto.
Die Filiale befindet sich im Gebäude eines K-Marktes. Es werden dort neben den Artikeln des Lottogeschäftes insbesondere Tabakwaren und Zeitschriften verkauft. Im fraglichen Zeitraum waren in der Filiale außer der Klägerin drei weitere Verkäuferinnen tätig: Frau E seit September 2015, Frau M seit September 2015 und Frau A seit einem späteren Zeitpunkt als September 2015. Die Verkäuferinnen waren in wechselnden Schichten eingesetzt, die Klägerin häufig in der Schicht von 14.00 Uhr bis 21.00 Uhr. Eine der drei anderen Verkäuferinnen beging im fraglichen Zeitraum eine unrechtmäßige Stornomanipulation zu einem Betrag von 439,64 €. Diesen Betrag setzt der Beklagte von der Ersatzforderung gegen die Klägerin ab.
Der Ladenraum der Filiale wird durch drei Kameras videoüberwacht. Auf die Überwachung wird mit einem gelben Schild am Eingang hingewiesen. Die drei Kameras sind sichtbar platziert. Die Arbeitnehmerinnen wissen von der Überwachung. Die Aufzeichnung geschieht auf einem Festplattenvideorekorder, der sich in einem verschlossenen Metallbehälter befindet. Die Überwachung erfolgt nach Angabe des Beklagten nicht zur Mitarbeiterüberwachung sondern als einzige Möglichkeit zur Aufklärung Straftaten Dritter, z. B. von Diebstählen, Überfällen, nächtlichen Einbrüchen oder Trickbetrügereien. Die Kamera 1 erfasst die Regale des Zeitungs- und Pressebereichs. Die Kamera 2 zeigt eine ähnliche Einstellung aus einer anderen Perspektive des Raumes und erfasst auch den Bereich, in dem die Kunden die Lottoscheine ausfüllen und sich etwas länger aufhalten können. Die Kamera 4 erfasst den Kassenbereich mit Fokus auf den Thekenbereich und den davorstehenden Kunden; über diese Kamera werden auch die Tasten der Kasse und deren Bedienung aufgezeichnet. Die Kamera 3 überwacht den Büroraum mit dem dort befindlichen Tresor im nicht öffentlichen Teil des Geschäfts. Zur Illustration hat der Beklagte Screenshots aller vier vorhandenen Kameras aus einem vergleichbaren Ladenlokal zur Akte gereicht (Anlage BB 4, Bl. 267 GA). Wegen der weiteren Bilder, die Aufnahmen aus dem hier interessierenden Ladenlokal zeigen, wird auf die Anlagen BB 2, BB 3, BB 5 und BB 6 Bezug genommen (Bl. 265, 266, 268, 269 GA). Wegen eines...