Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustandekommen eines Arbeitsvertrags. Anfechtung eines Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung. Keine Offenbarungspflicht einer Schwangerschaft bei Beginn eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Schwangerschaft und befristetes Arbeitsverhältnis
Leitsatz (redaktionell)
1. In der Übersendung eines unterschriebenen Arbeitsvertrags liegt ein Vertragsangebot des Arbeitgebers gem. § 145 BGB. Unterzeichnet der Arbeitnehmer den Vertrag und wirft ihn in den Briefkasten des Arbeitgebers ein, ist das Angebot wirksam angenommen.
2. Die falsche Beantwortung einer dem Arbeitnehmer bei der Einstellung gestellten Frage kann den Arbeitgeber berechtigen, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, wenn die Täuschung für dessen Abschluss ursächlich war. Arglist liegt vor, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass er durch die Unwahrheit beim Arbeitgeber irrige Vorstellungen entstehen lässt.
3. Es besteht keine Offenbarungspflicht der Arbeitnehmerin bezüglich ihrer Schwangerschaft bei Beginn eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses. Die Beschäftigungseinschränkungen durch das MuSchG stellen sich bei einem auf Dauer angelegten Arbeitsverhältnis als unerheblich dar.
4. Auch wenn das Bestehen einer Schwangerschaft wegen der mutterschutzrechtlichen Einschränkungen dem Zweck eines befristeten Arbeitsverhältnisses zuwiderlaufen kann, ist das Verschweigen der Schwangerschaft kein Anfechtungsgrund. Nach der Rechtsprechung des EuGH beruht die vom Arbeitgeber angestrebte Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf der Schwangerschaft und damit auf einer unzulässigen unmittelbaren Diskriminierung wegen des Geschlechts.
Normenkette
EWGRL 207/76 Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1; RL 2006/54/EG Art. 1; KSchG § 4 S. 1; ZPO § 256 Abs. 1; BGB §§ 123, 130, 145-146; AGG §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 S. 2, § 8 Abs. 1; MuSchG § 3 Abs. 1, § 16 Abs. 1, § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG Rheine (Entscheidung vom 01.09.2021; Aktenzeichen 3 Ca 333/21) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rheine vom 01.09.2021, 3 Ca 333/21 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass das zwischen den Parteien seit dem 01.03.2021 bestehende Arbeitsverhältnis weder durch Anfechtung noch durch Kündigung aufgelöst wurde.
Die Klägerin ist verheiratet sowie Mutter eines Kleinkindes und eines Säuglings. Der Beklagte ist ein eingetragener Verein mit einer Kindertagesstätte für Kinder im Vorschulalter.
Die Klägerin bewarb sich auf eine von dem Beklagten ausgeschriebene Arbeitsstelle als Erzieherin in der Kindertagesstätte. Während des Vorstellungsgesprächs am 16.02.2021 erwähnte die Klägerin, dass während ihrer ersten Schwangerschaft festgestellt worden sei, dass sie nicht über eine Immunität gegen das Zytomelagievirus verfügt habe. Nach einem Probearbeitstag am 22.02.2021 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass sie die ausgeschriebene Arbeitsstelle zunächst befristet bis zum 31.07.2022 bekommen und am 01.03.2021 beginnen könne. Ob die Klägerin die Annahme der Stelle bereits am 22.02.2021 mündlich verbindlich zusagte, ist zwischen den Parteien streitig. Am Morgen des 23.02.2021 teilte die Vorstandsvorsitzende des Beklagten der Klägerin mit, dass sie den Vertrag fertigen und der Klägerin vorab per Mail und im Original per Post zukommen lassen werde. Am Morgen des 24.02.2021 sandte die Vorstandsvorsitzende des Beklagten den Arbeitsvertrag, dem noch die Unterschrift des Personalvorstands des Beklagten fehlte, per E-Mail mit folgendem Anschreiben an die Klägerin:
"Sehr geehrte Frau A.,
in der Anlage finden Sie den eingescannten Vertrag. Ich lasse den Vertrag jetzt noch von Herrn B. gegenzeichnen, dann bekommen Sie ihn per Post mit der Bitte, ein Exemplar unterzeichnet und möglichst zeitnah an uns zurückzusenden."
Am 25.02.2021 stellte die Frauenärztin der Klägerin bei dieser eine Schwangerschaft fest. Am 27.02.2021 ging bei der Klägerin der von der Vorstandsvorsitzenden und dem Personalvorstand des Beklagten unterzeichnete Arbeitsvertrag ein (vgl. Bl. 7 - 13 d. A.). Diesen unterzeichnete die Klägerin ihrerseits und warf ihn am Sonntag, den 28.02.2021 in den Briefkasten des Beklagten ein. Am Morgen des 01.03.2021 rief die Klägerin in der Kindertagesstätte des Beklagten an und teilte mit, dass sie schwanger sei. Die stellvertretende Leiterin der Kindertagesstätte sagte der Klägerin daraufhin, dass sie zuhause bleiben solle. In dem Telefonat teilte die Klägerin des Weiteren mit, dass sie den Arbeitsvertrag in den Briefkasten des Beklagten eingeworfen habe. Weitere Einzelheiten des Telefonats sind zwischen den Parteien streitig. Mit Schreiben vom 01.03.2021, das der Klägerin am 04. oder 05.03.2021 zuging, zog der Beklagte sein Angebot zurück, der Klägerin "ab dem 01.03.2021 einen Arbeitsvertrag als pädagogische Fachkraft in unserer Kita anzubieten". Hilfsweise erklärte der Bekla...