Entscheidungsstichwort (Thema)
Entfernung einer Abmahnung wegen Verlassen des Arbeitsplatzes zum Zwecke des Betens
Leitsatz (amtlich)
Der gläubige Arbeitnehmer ist unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange wegen seiner Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG grundsätzlich berechtigt, seinen Arbeitsplatz zur Abhaltung kurzzeitiger Gebete zu verlassen. Insoweit kann ein Leistungshindernis nach § 616 BGB bestehen.
Wegen der aus Art. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützten Belange des Arbeitgebers darf der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz nicht ohne Rücksprache mit seinem Vorgesetzten verlassen. Die Pflichtgebete des Islam sind nur innerhalb eines Zeitrahmens je nach Sonnenstand abzuhalten. Der Arbeitnehmer ist nicht berechtigt, den genauen Zeitpunkt seiner Arbeitsunterbrechung innerhalb des Zeitrahmens ohne Rücksprache mit seinem Vorgesetzten selbst zu bestimmen.
Normenkette
GG Art. 4 Abs. 1-2, Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1; BGB §§ 242, 1004, 616
Verfahrensgang
ArbG Münster (Urteil vom 07.09.2001; Aktenzeichen 4 Ca 915/01) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 07.09.2001 – 4 Ca 915/01 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten für den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 30.10.2001 hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Wirksamkeit einer von der beklagten ausgesprochenen Abmahnung.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und Muslime. Er ist seit dem 04.10.1994, mit einer Unterbrechung vom 03.04. bis 04.07.1996 als gewerblicher Arbeitnehmer mit einem Bruttomonatslohn in Höhe von 1.622,53 EUR beschäftigt. Die Beklagte beschäftigte zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Abmahnung insgesamt 48 Muslime. Sie ist auf dem Gebiet der Oberflächenveredelung tätig. Dabei werden Stückbeschichtungen von Bauteilen vorgenommen.
Am 11.01.2001 verließ der Kläger gegen ca. 15.00 Uhr seinen Arbeitsplatz, begab sich ins Verpackungslager, um dort sein Gebet zu verrichten. Dabei handelte es sich um das Nachmittagsgebet (Asr-Gebet). Er begab sich dabei an eine Stelle, die mit Fließrollen umgeben war. Um die Lücke, durch die er diesen Bereich betrat, zu schließen, zog er eine Fließrolle zurück.
Die Beklagte erteilte dem Kläger am 15. Januar 2001 insgesamt drei Abmahnungen. Eine Abmahnung erfolgte wegen der Einlegung von Pausen zu nicht abgesprochenen festgelegten Zeiten. Eine weitere Abmahnung erfolgte wegen der Weigerung des Klägers, die leeren Haken abzunehmen und in die Behälter zu legen, eine weitere in der Berufungsinstanz noch streitige Abmahnung erfolgte wegen unentschuldigtem Fernbleiben vom Arbeitsplatz. In diesem Abmahnungsschreiben heißt es:
„Abmahnung – Unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz Sehr geehrter Herr E1xxxx, am Donnerstag 22.01.2001 um 15.15 Uhr haben Herr C1xxxxxxx K1xxxx und Frau K1xxxx-Q1xxxxx Sie während Ihrer Arbeitszeit im Verpackungslager beim Beten angetroffen.
Aus 8 Rollen Fließfolie, 2 m hoch und 90 cm Durchmesser, haben Sie sich in der äußersten Ecke im Verpackungslager einen Gebetsraum gebaut. Den Boden bedeckten Sie mit einer Pappvorlage die Ihnen auch gleichzeitig als Gebetsvorlage diente.
Wie Sie den o.g. einräumten, haben Sie die entsprechenden Waschungen vorgenommen, sich nach oben zurückgezogen, die Schuhe ausgezogen und Ihre Gebete verrichtet.
Als Frau K1xxxx-Q1xxxxx und Herr C1xxxxxxx K1xxxx die Rollen zur Seite nahmen um Sie zu finden, haben Sie ihre Gebete nicht unterbrochen sondern fortgeführt.
Nach Beendigung waren Sie dann für die o.g. ansprechbar.
Auf Befragen räumten Sie ein, daß Sie täglich während Ihrer Arbeitszeit diese Gebetspausen einlegen.
Sie wurden bereits mündlich von Frau K1xxxx-Q1xxxxx und Herrn C1xxxxxxx K1xxxx auf das schärfste dagegen abgemahnt das diese Verhaltensweise für den Betrieb untragbar ist und nicht fortgeführt werden darf und kann.
Sie zeigten sich überhaupt nicht einsichtig und waren der Meinung das ihr Arbeitseinsatz diese Vorgehensweise zuläßt.
Tatsächlich liegt ein unentschuldigtes Fernbleiben vom Arbeitsplatz vor.
Wir haben Sie daher ernsthaft abzumahnen und darauf hinzuweisen, im Wiederholungsfall eine Kündigung aussprechen zu müssen.
Wir bitten um Kenntnisnahme.”
Mit der am 23. April 2001 beim Arbeitsgericht Münster eingegangenen Klage hat der Kläger die Rücknahme und Entfernung der drei erteilten Abmahnungen aus der Personalakte geltend gemacht.
Er hat die Auffassung vertreten, sein Verhalten, während der Arbeitszeit seine Gebete zu verrichten und dabei seine Arbeitspflicht nicht zu erfüllen, sei gerechtfertigt. Dies ergebe sich aus der grundgesetzlich garantierten Freiheit des Glaubens und der Religionsausübung. Er habe den Arbeitsplatz nur für fünf Minuten verlassen, Waschungen habe er nicht vorgenommen. Er bete bereits sei etwa sechs Jahren während der Arbeitszeit. Zuvor habe er den ehemaligen Betriebsleiter D3xxxxxx und auch den Ze...