Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebetspausen eines muslimischen Arbeitnehmers während der Arbeitszeit
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Arbeitnehmer verzichtet nicht auf seine Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG, weil er bei Abschluss des Arbeitsvertrages damit rechnen musste, dass die ordnungsgemäße Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten mit seinen Verpflichtungen gegenüber seinem Glauben kollidieren könnten.
2. Ein Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 geschützte Gebetspausen des muslimischen Arbeitnehmers während der Arbeitszeit hinzunehmen, wenn hierdurch betriebliche Störungen verursacht werden.
Normenkette
BGB §§ 616, 242; GG Art. 4 Abs. 1-2, Art. 14, 2
Verfahrensgang
ArbG Münster (Urteil vom 23.11.2001; Aktenzeichen 4 Ga 52/01) |
Tenor
Die Berufung des Klägers vom 05.12.2001 gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Münster vom 23. November 2001 – 4 Ga 52/01 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt im Wege der einstweiligen Verfügung eine bis zu dreiminütige Freistellung von der Arbeit zwischen 06.00 und 08.00 Uhr morgens, um sein Morgengebet verrichten zu können.
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und Muslime. Er ist seit dem 04.10.1994, mit einer Unterbrechung vom 03.04. bis 04.07.1996 als gewerblicher Arbeitnehmer mit einem Bruttomonatslohn in Höhe von 1.622,53 EUR beschäftigt. Wegen der Einzelheiten der schriftlichen Arbeitsverträge wird auf deren Fotokopien als Anlage zum Beklagtenschriftsatz vom 07.01.2002 (Blatt 169 und 171 d. A.) Bezug genommen.
Die Beklagte ist auf dem Gebiet der Oberflächenveredelung tätig. Es werden Stückbeschichtungen von Bauteilen vollzogen. Bis zum 31.12.2001 waren dort 163 Arbeitnehmer beschäftigt, ab dem 01.01.2002 sind 144 Arbeitnehmer. Davon sind seit Januar 2002 48 Arbeitnehmer Moslems.
Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist nicht ungestört. Die Beklagte erteilte dem Kläger bereits einer Ermahnung vom 30.05.1995 wegen Schlechtleistung, eine Abmahnung vom 15.01.2001 wegen unentschuldigtem Fernbleibens vom Arbeitsplatz, eine Abmahnung vom 15.01.2001 wegen der Weigerung, die leeren Haken abzunehmen und in die Behälter zu legen, eine Abmahnung vom 15.01.2001 wegen Abhaltung von ungenehmigten Pausen zum Zwecke des Betens, eine Abmahnung vom 25.06.2001 wegen Arbeitsverweigerung und Handgreiflichkeit, eine Abmahnung vom 27.06.2001 wegen Arbeitsverweigerung, eine Abmahnung vom 05.10.2001 wegen Entfernung vom Arbeitsplatz zum Beten und eine Abmahnung vom 13.11.2001 wegen Nichttragens des Schutzhelms. Über die Ansprüche des Klägers auf Entfernung der Abmahnungen, insbesondere wegen der von ihm vorgenommenen Arbeitspausen zum Zwecke des Betens sind zwei Rechtsstreitigkeiten anhängig (ArbG Münster 4 Ca 915/01 nunmehr LAG Hamm 5 Sa 1582/01; ArbG Münster 4 Ca 2710/01).
Eine Vereinbarung über das Abhalten von Gebetspausen besteht zwischen den Parteien nicht.
Der Kläger seit einigen Monaten ist an der Vertikalanlage/Beschichtungsanlage (V-Anlage) tätig. Seit dem 01.01.2002 beginnt dort die Arbeitszeit um 06.00 Uhr und endet um 14.30 Uhr. Montags läuft die Anlage erst nach eventuell durchzuführenden Reinigungsarbeiten. Hierdurch kommt es zu entsprechenden Verschiebung der Arbeitszeit. Die Pausenzeit beginnt nicht vor 09.30 Uhr. Der Kläger hat die Arbeitsaufgabe, die beschichteten Teile, die in einer Kette mit gleichmäßigem Vortrieb hängen, abzunehmen. Dabei hat er gleichzeitig auch den Haken, an dem das Werkstück hängt, aus der Aushängung auszuklinken. In der Regel haben die einzelnen Profile eine Läge bis zu 6,50 Meter. In der V-Anlage sind zwei Arbeitnehmer eingesetzt.
Mit dem am 06.11.2001 beim Arbeitsgericht eingegangen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung macht der Kläger eine tägliche dreiminütige Arbeitsbefreiung zwischen 06.00 und 08.00 Uhr morgens zur Wahrnehmung seiner religiösen Pflichten geltend. Der Kläger hat behauptet, er müsse nach den Vorschriften seines Glaubens als gläubiger Moslem in der Winterzeit ab dem 12.11.2001 bis zu deren Ablauf zum 21.02.2001 ein Gebet zwischen 06.00 Uhr und 08.00 Uhr verrichten. Die Arbeitsunterbrechung betrage maximal drei Minuten. Die zeitliche Lage der täglichen Gebete hänge jeweils vom Sonnenstand ab. Die Einhaltung der Gebetspausen führe auch nicht zu betrieblichen Problemen. Es bestehe die Möglichkeit, etwas vorzuarbeiten, um dadurch etwa bis zu drei Minuten Luft herauszuarbeiten. Zudem werde die Kette nach den Erfahrungen in der betrieblichen Praxis mindestens fünf- bis zehnmal gestoppt, z. B. für das Nachfüllen von Lackpulver. Auch hier ergebe sich wegen Stillstandes des Bandes ein mindestens dreiminütiger freier Zeitraum zur Abhaltung des Gebetes. Schließlich bestehe eine Aushilfsmöglichkeit. Auch andere Arbeitnehmer im Betrieb würden schon einmal eine Zigarette rauchen oder zur Toilette gehen, ohne dass hierdurch der Betriebsablauf mehr als nur unerheblich gestört werde. Die Angelegenheit sei auch eilbedürftig. Aufgrund der Jahreszeit sei er ab dem 12...