Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratswahl. Verfassungswidrigkeit. Frauenquote. Minderheitsgeschlecht. Listensprung. Wahlgleichheit. Wahlgrundsätze. Verfassungskonforme Auslegung. Aussetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG gelten auch für Betriebsratswahlen.
2. § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO zum BetrVG stellt einen sachlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die Wahlgrundsätze des Art. 38 Abs. 1 GG dar.
3. Die gesetzliche Vorgabe des § 15 Abs. 2 BetrVG zur Förderung des Minderheitsgeschlechts ist für sich betrachtet verfassungsgemäß, denn im Wege der Verfassungskonformen Auslegung sind weniger einschneidende Korrekturen als der Listensprung i. S. v. § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO zum BetrVG möglich (aA LAG Köln, Beschluss vom 13.10.2003 – 2 TaBV 1/03.
4. Hält das Gericht eine Vorschrift für verfassungsgemäß, muss es sie auch anwenden und kann den Rechtsstreit nicht ohne eingehende eigene Prüfung im Hinblick auf ein anderweitig anhängiges Normenkontrollverfahren aussetzen.
Normenkette
GG Art. 38 Abs. 1; BetrVG § 15 Abs. 2; WahlO § 15 Abs. 5 Nr. 2; GG Art. 100 Abs. 1; ZPO § 148
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 18.12.2002 – 5 BV 52/02 – abgeändert.
Es wird festgestellt, dass das in der Wahlniederschrift vom 29.05.2002 festgestellte Wahlergebnis der Wahl der Vertreter der Beamtengruppe für den Betriebsrat bei der D. T., T. C., fehlerhaft ist.
Es wird weiter festgestellt, dass an Stelle der Frau S. D. (Platz 8 Liste ver.di) Herr W. H(Platz 3 Liste DPVKOM) in den Betriebsrat gewählt worden ist.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Betriebsratswahl im Hinblick auf die Anwendung der §§ 15 Abs. 2 BetrVG, 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO.
Im Betrieb der Beteiligten zu 3) fanden vom 27. bis 29.05.2002 Betriebsratswahlen statt. Die Wahl wurde als Gruppenwahl mit den Gruppen der Beamten und der Arbeitnehmer durchgeführt. In der Beamtengruppe konkurrierte die Wahlvorschlagsliste der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft unter dem Kennwort „ver.di” mit der Liste der Antragstellerin unter dem Kennwort „Kommunikationsgewerkschaft DPV (DPVKOM)”. Insgesamt waren 17 Betriebsratsmitglieder zu wählen. Davon entfielen auf die Gruppe der Beamten neun und auf die Gruppe der Arbeitnehmer acht Sitze. Drei von den der Beamtengruppe zustehenden Sitze entfielen nach den nicht angefochtenen Berechnungen des Wahlvorstands auf Frauen als Minderheitsgeschlecht.
Ausweislich der Wahlniederschrift wurden in der Gruppe der Beamten insgesamt 458 gültige Stimmen abgegeben. Davon entfielen auf die Liste „ver.di” 366 Stimmen und auf die Liste der Antragstellerin 92 Stimmen. Das führte zu folgenden Höchstzahlen:
|
ver.di |
Höchstzahl |
Listenplatz belegt mit: |
DPVKOM |
Höchstzahl |
Listenplatz belegt mit: |
:1 |
366 |
(1) |
M |
92 |
(4) |
M |
:2 |
183 |
(2) |
M |
46 |
(9) |
M |
:3 |
122 |
(3) |
M |
30,6 |
|
M |
:4 |
91,5 |
(5) |
M |
|
|
|
:5 |
73,2 |
(6) |
W |
|
|
|
:6 |
61 |
(7) |
W |
|
|
|
:7 |
52,2 |
(8) |
M |
|
|
|
:8 |
45,7 |
|
W |
|
|
|
:9 |
40,6 |
|
W |
|
|
|
Nach dem angewandten Höchstzahlverfahren hätten der Liste „ver.di” sieben Sitze und der Liste der Antragstellerin zwei Sitze in der Gruppe der Beamten zugestanden. Da auf der Liste der Antragstellerin keine Frauen aufgestellt waren und nach der oben genannten Sitzverteilung nur zwei Frauen Sitze erhalten hätten, den Frauen als Minderheitsgeschlecht in der Gruppe der Beamten aber drei Sitze zustanden, zog der Wahlvorstand der Liste der Antragstellerin einen Sitz ab und schlug diesen der Liste „ver.di” zu. Der abgezogene Sitz entfiel auf Herrn W., der zugeschlagene auf Frau S. D., die Beteiligte zu 5). Für den im Laufe des vorliegenden Beschlussverfahrens aus dem Betrieb ausgeschiedenen Herrn W. ist Herr W. H., der Beteiligte zu 6), auf der Liste der Antragstellerin nachgerückt. Der weitere Beteiligte zu 4), Herr R., stand auf Platz sieben der Liste „ver.di”.
Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, sowohl § 15 Abs. 2 BetrVG als auch der vom Wahlvorstand angewandte § 15 Abs. 5 Nr. 2 der Wahlordnung (WahlO) seien verfassungswidrig. Die in Art. 38 Abs. 1 GG niedergelegten Wahlrechtsgrundsätze hätten auch für Betriebsratswahlen Gültigkeit. Insbesondere der Grundsatz der Wahlgleichheit werde durch den in § 15 Abs. 5 Nr. 2 WahlO angeordneten Listensprung verletzt. Die entstehende Ungleichheit sei nicht durch zwingende sachliche Gründe gerechtfertigt. Vielmehr müsse es bei dem Grundsatz „Listenschutz und Respekt vor dem Wählerwillen vor Geschlechterproporz” bleiben. Jedenfalls habe der Gesetzgeber nicht das mildeste Mittel gewählt, um eine angemessene Vertretung des Minderheitsgeschlechts sicherzustellen. Ein listeninterner Geschlechtertausch wäre als geringerer Eingriff vorzugswürdig gewesen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
- festzustellen, dass das in der Wahlniederschrift vom
- 05.2002 festgestellte Wahle...